Katalin Karikó "An Outsider inside the System"

Nobelpreis für Medizin und Physiologie am 2. Oktober 2023

„Niemand macht Wissenschaft für Geld, Ruhm oder irgendeinen Preis. Man kann nicht erwarten, dass so was 40 Jahre später passiert. Man macht das, weil man es liebt. Und dann erwartest du nur, dass es eines Tages irgendjemandem nützlich sein kann.“ Katalin Karikó

„Karikó und Weissman erhalten den Nobelpreis für ihre grundlegenden Arbeiten, die unter anderem mRNA-Impfstoffe gegen Covid-19 ermöglichten, wie das Karolinska-Institut am Montag in Stockholm mitteilte. „Durch ihre bahnbrechenden Resultate, die unser Verständnis davon, wie mRNA mit dem menschlichen Immunsystem interagiert, grundlegend verändert haben, trugen die Preisträger zu dem beispiellosen Tempo der Impfstoffentwicklung während einer der größten Bedrohungen für die menschliche Gesundheit in moderner Zeit bei", hieß es vom Nobelkomitee.“


BioNTech über Nobelpreisträgerin Karikó: "Wir schätzen ihre Leidenschaft" Sendung vom Mo., 2.10.2023 16:00 Uhr, Der Tag in RLP, SWR1 Rheinland-Pfalz
Der erste Satz stammt aus dem Video, Transkription stammt von mir
BioNTech über Nobelpreisträgerin Karikó

Die Preisträgerin, eine Biochemikerin, die sich mit ihrem Teamkollegen Drew Weissmann, einem Immunologen, den diesjährigen Medizin Nobelpreis für "Physiology or Medicine" teilt, hat eine Karriere voller Hindernisse hinter sich, sowohl was den Prozess des Entdeckens selbst als auch was die Akzeptanz durch die Professional Community und die Förderung ihrer Karriere und ihrer Entdeckung durch Hochschulen anbetraf. Sie erhält den Nobelpreis nicht in ihrer Disziplin, der Biochemie, sondern in Medizin.

Nun fragt man sich verwundert in den Medien, z.B. in der Harvard Business Review, warum diese Entdeckerin, die durch ihre Grundlagenforschung die Voraussetzungen für die Entwicklung der in der Covid Pandemie so wichtig gewordenen mRNA Impfstoffe keine finanzielle Förderung bekommen hat und auch keine Hochschulkarriere gemacht hat, die der Bedeutung dieser Entdeckung Rechnung trägt.
Kennt man die typischen Merkmale von Entdeckerkarrieren, so ist dies nicht weiter verwunderlich!
Hier ein Auszug aus ihrer Rede bei der Verleihung eines Preises aus dem Jahr 2022, der die Hindernisse und ihre Bewältigungsstrategie beschreibt und einen ambivalenten Dank an diejenigen enthält, die ihr das Leben schwer gemacht haben.

I'm thankful for people who tried to make my life miserable - Katalin Karikó, Gairdner Awards Speech 2022

I learned from my parents, that hard work is part oft the life. How did I go from a super life of a single room without running water, no television set, no refrigerator and here in the state accepting the Gardener International Award. I certain you it was not my intention.
I was just a curious girl who watches with fascination all of the plants in our yard and wanted to learn more about the internal mechanism of all of these things living things. I didn’t know a single scientist. I was 16 years old and I wanted and decided that I will be one. "(2,32.min.)

"At the academic setting I was not successful, I was demoted, I never received a single grant. And in general, I was not popular as those who followed conventional science. But I have a message: It doesn’t matter the circumstances, the skepticisms around you. What matters is your conviction, how hard you work, your passion and that you yourself believe you can achieve those goals."(3,35.min.)
"You may be surprised, but I am thankful for people who tried to make my life miserable. Those people who demoted me from faculty positions, who fired me from my position, they made me work harder to improve myself and without them I wouldn’t be here." (7,09.min.)


Dr. Katalin Karikó received the 2022 Canada Gairdner International Award "For her pioneering work developing nucleoside-modified mRNA and lipid nanoparticle (LNP) drug delivery: the foundational technologies for the highly effective COVID-19 mRNA vaccines." You tube Film -Transkription des Textes der Dankesrede von mir am 3.10.23 (?) meint, Wort ist unverständlich.
"I'm thankful for people who tried to make my life miserable" Katalin Karikó, Gairdner Awards Speech

Was ihr an Ablehnung entgegengeschlagen ist, mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen hatte, welche Kränkungen sie verarbeiten musste, ist typisch für Entdecker, die ihr Ziel nicht in den bestehenden Institutionen und wissenschaftlichen Disziplinen erreichen können, weil sie dabei sind Entdeckungen zu machen. Dies erfordert ein Überschreiten der disziplinären Grenzen und eine Förderung, die die Widerlegung von Grundannahmen zulässt und auch einflussreiche Förderer, die an die Idee glauben und ein Interesse der Professional Community an diesem Forschungsgebiet.
Der CEO der Universität von Pennsylvania, in deren School of Medicine sie ab 1989 arbeitet, setzt wie die meisten Forscher dort auf die Therapie von Krankheiten durch die Modifizierung der DNA, mRNA hält man für indiskutabel.
“The history of science, it turns out, is filled with stories of very smart people laughing at good ideas.” (Breaking Through, S. 66)

Was bei ihr zusätzlich erschwerend hinzukommt, ist, dass sie nach Amerika auswandert und dort mit Skepsis betrachtet wird, weil sie aus einem kommunistisch regierten Land (Ungarn) kommt, man die Qualität der Forschung und ihrer Ausbildung dort nicht einschätzen kann, sie außerdem aus einfachen sozialen Verhältnissen stammt und ihr die Zugehörigkeit zur Gruppe derer fehlt, die eine der renommierten amerikanischen Universitäten der Ivy League besucht haben, was die Möglichkeit, eine Karriere an einer amerikanischen Universitäten zu machen, sehr befördert. Was die Amerikaner unterschätzen, ist dass die Forschung zu RNA zu dieser Zeit in Ungarn wesentlich weiter entwickelt ist wie auch die Praxis des Impfens, das spielt auch keine Rolle, wenn man auf die Erforschung der DNA setzt.
Ihr gelingt es nicht, sich in dem auf Drittmittelförderung und Konkurrenz ausgerichteten amerikanische Hochschulsystem zurechtzufinden, sie bleibt ein "outsider inside the system".
Dass es eine Rolle gespielt hat, dass sie eine Frau ist, kann man aus ihrer Autobiographie nicht entnehmen, diese Art der Diskriminierung wird nicht beschrieben. Wohl aber taucht an verschiedenen Stellen in den Interviews und Vorträgen ihr Wunsch, dass mehr Frauen in die Wissenschaft gehen und sich etwas zutrauen.

Gliederung

Ihre Maximen für die Gestaltung ihrer Entdeckerkarriere
Die Entwicklung der Triebkräfte des Entdeckens in ihrer Kindheit und Jugend
Frühe Förderer und fördernde Rahmenbedingungen ihrer wissenschaftlichen Karriere und Gefährder
Studium und Promotion in Ungarn
Familie und Karriere?
Ihre Karriere an amerikanischen Hochschulen
Der Moment des ersten Entdeckens - Breaking Through
Ihre Karriere an amerikanischen Hochschulen Teil 2
Der Moment der zweiten Entdeckung - Breaking Through Two
Ihre Karriere an den amerikanischen Hochschule Teil 3
A Changed World - Zurück nach Europa
Die Arbeit bei BioNTech
Die Pandemie bringt die Entdeckung in die Welt
Entdeckung und Erfolg durch das Überschreiten der Grenzen von Disziplinen und Abteilungen
Der Nobelpreis für Medizin 2023

Ihre Maximen für die Gestaltung ihrer Entdeckerkarriere

Katalin Karikó hat sich in ihrer Karriere von nahezu allen Maximen für eine Entdeckerkarriere, die ich durch empirische Analysen rekonstruieren konnte, leiten lassen, sicher von den folgenden:

  • Du kannst Dich nicht an Normalität orientieren, an welcher auch immer. Nicht an den Vorstellungen, die die eigene Familie, die sozialen Gemeinschaft, die Profession, die wissenschaftliche Disziplin, die Organisationen und Institutionen, mit denen Du interagierst, haben. Du stellst für sie eine Abweichung dar!
    (In ihrem Fall als Entdeckerin wie auch als Migrantin aus einem kommunistisch regierten Land)

  • Verfolge Deine Idee, glaube an sie!

  • Nimm die Mission ernst, die Du spürst!

  • Lebe bescheiden, sei bedürfnislos. Lass Dich nur von dem Bedürfnis zu entdecken leiten!

  • Entdecken ist Revolutionieren, nicht Bewahren oder Verbessern. Es geht darum Neues zu erfinden, das Alte zu ersetzen. Dieses Denken und Handeln ruft notwendigerweise Widerstand hervor. Gibt es Widerstand, dann bist Du meist auf dem richtigen Weg!

  • Verlass Dich nicht auf Organisationen, die Bewahren und Optimieren von Bestehendem prämieren! Verwende nicht Deine gesamte Energie, um Dir dort einen Platz zu suchen!

  • Suche nicht nach Anerkennung Deiner Arbeit von diesen Institutionen, sie kränken eher, als souverän genug zu sein um sich nicht bedroht zu fühlen. Ehrungen werden „Revolutionären“ meist verweigert!
  • Arbeitest Du in einer Organisation, dann suche nach Menschen, die souverän genug sind, Dir eine Position oder ein Stipendium zu verschaffen und Dich machen lassen!

  • Wenn Du ein Problem nicht lösen kannst, überschreite die Grenzen Deiner wissenschaftlichen Disziplin bzw. Deiner Profession und suche dort nach Erklärungen und Lösungswegen!

  • Wenn Du in Deiner Entdeckungspraxis zu scheitern drohst, Irrtümer auftauchen, mach weiter. Hinterfrage Deine Annahmen, diese kritischen Stellen sind oft der Anfang der Entdeckung!
  • Halte Phasen der Unsicherheit, des ‚Schwimmens‘ aus, wenn Du spüren kannst, dass irgendetwas noch Zeit zum Reifen braucht!

  • Gehe davon aus, dass die Gesellschaft, deine Professional Community, die Organisationen und Institutionen Deiner Entdeckung einen anderen Sinn geben als Du selbst! (Individueller versus sozialer oder kultureller Sinn der Entdeckung)

  • Gescheitert bist Du nur, wenn Du den Sinn, den Du ihr gibst, nicht erreichst!

Alle Maximen für erfolgreiche Entdeckerkarrieren finden Sie hier:
Maximen für Entdecker
Die Maximen für junge Wissenschaftler, die sie im Epilog ihres Buchs Breaking Through formuliert, fand ich wert hier aufgenommen zu werden. Sie sind eine Ermutigung, an sich und seine Idee zu glauben.

Die Analyse ihrer Karriere basiert auf Interviews mit und Vorträgen von ihr und der Dokumentation „Katalin Kalikó - Leben und Forschungskarrieren“ der Universität Szeged. Die Ergebnisse der Untersuchung Ihrer Autobiographie „Breaking Through – My Life in Science“, die am 10.10. bei Crown in New York erschienen ist, werden nach und nach in die Analyse eingearbeitet.

Ihre Autobiographie wurde geschrieben, bevor ihr der Nobelpreis zuerkannt wird, sie aber schon eine große Anzahl an Auszeichnungen und Ehrungen für ihre Arbeit bekommen hat. Autobiographien haben immer auch einen legitimatorischen Charakter. Ob sie geahnt hat, dass die Anwendung ihrer Entdeckung zur Entwicklung eines Impfstoffes gegen Sars Covid-2 nicht unumstritten bleiben würde? Wie andere Entdecker hatte auch sie es nicht in der Hand zu bestimmen, was aus der Entdeckung wird, wenn sie einmal in der Welt ist, ob sie zum Wohle oder zum Schaden der Menschen gereichen wird. Der durch die Pandemie entstandene enorme zeitliche Druck bei der Entwicklung des Impfstoffes führte dazu, dass die üblichen Zeiten für die Erprobung des Stoffes auf Wirkung und Nebenwirkungen um Jahre verkürzt worden. Die Diskussion über Impfschäden durch den mRNA Impfstoff und über dessen Wirksamkeit sind im vollen Gange.

Die Merkmale des Karriereankers von Entdeckern geben dem ersten Teil der Analyse die Struktur - wie auch bei der Analyse der Karriere von Stefan Hell in diesem Menüpunkt. Was ein Karriereanker ist und welche Merkmale er hat, finden Sie hier:
Der Entdeckeranker - Merkmale von Entdeckerkarrieren

1.Die Idee kommt früh, ist mächtig und hat eine große Triebkraft. Angeregt und angezogen durch Dinge oder Ereignisse in ihrer Umwelt entsteht in Ihnen eine Faszination, die die Energie liefert, eine ausgeprägte eigene Vorstellungswelt zu entwickeln, in der Ideen für etwas, was es zu entdecken gilt und was der Sinn dieser Entdeckung ist, entstehen kann. Sie sind häufig auch in der Lage Ihrer Entdeckerlust ein konkretes Ziel zu geben.

Grundsätzliches zu individuellen, sozialen und kulturellen Triebkräften in Entdeckerkarrieren: Triebkräfte

Die Entwicklung der Triebkräfte des Entdeckens in ihrer Kindheit und Jugend

Sie schildert eine Szene aus ihrer frühen Kindheit: Der Vater schlachtet ein Schwein, sie und ihre Schwester beobachten ihn dabei und sehen, wie er es in zwei Hälften zerlegt und das Innere sichtbar wird.
„Diese Szene ist zu viel für meine drei Jahre ältere Schwester Zsuzsanna. Zsoka, wie ich sie nenne, ist nicht zimperlich. Das ist schließlich das Nachkriegs-Ungarn. Zimperlichkeit ist ein Luxus, den sich niemand leisten kann – geschweige denn eine Arbeiterfamilie wie die unsere, die von der Hand in den Mund arbeitet. Aber was auch immer es ist, das mich in diesem Moment gefesselt hat, scheint nicht die gleiche Wirkung auf meine Schwester zu haben.
Trotzdem bin ich gefesselt. Meine Eltern kicherten, wenn sie sich daran erinnerten, wie ich damals aussah: Meine großen Augen nahmen alles auf – die ganze komplexe Topografie des Inneren eines Tieres. All diese unterschiedlichen Teile, die so lange zusammengearbeitet haben, um diese eine Kreatur am Leben zu erhalten. All die Geheimnisse und Wunder, die sie zu bergen schienen, wurden endlich sichtbar.
So fängt es für mich an.“


Auszug aus dem Kapitel A Butcher’s Daughter Breaking Through von Katalin Karikó. Copyright © 2023 von Katalin Karikó. Ankündigung der Autobiographie: Quelle 1
Breaking Through
Hier endet die deutsche Übersetzung des ersten Kapitels und ich fahre mit dem gerade erschienen amerikanischen Original fort. Alle Seitenzahlen in Klammern beziehen sich - wenn nicht anders angegeben- auf die gedruckte Ausgabe des Werks.

Diese Situation ist vermutlich der Auslöser für ihre Entdeckerlust, sie will die Geheimnisse und Wunder der Natur ergründen. Sie beschreibt sich als neugierig, fasziniert von der Natur und will mehr „about the internal mechanism of all of these living things“ lernen und beschließt mit 16 Jahren, Wissenschaftlerin zu werden. Faszination durch Dinge des Kosmos, Neugier, eine ausgeprägte Beobachtungsgabe und Intelligenz sowie der Wunsch die Geheimnisse und Wunder der Welt zu erkennen sind typische Auslöser von Entdeckerkarrieren, die in der Kindheit liegen.
Sie schildert in ihrer Biographie Breaking Through noch mehr Erlebnisse aus ihrer Kindheit, die sie fasziniert haben und eine Vorbereitung- nicht zuletzt durch die Schulung ihrer Beobachtungsgabe- auf ihre wissenschaftliche Tätigkeit waren.


“Did you hear the news? Chicken vaccines. Yes, next Tuesday. Keep your chickens indoors. My first-ever vaccination campaign, I suppose. Science lessons are everywhere, all around me.”(9)

“Under this woman’s direction, we melt the fat, then mix it with sodium carbonate (...) wait for it to harden into soap. Looking back, I understand now that this local “soap cooker lady” was the first biochemist I ever met.” (10)

Zsóka and I have a garden of our own, too. Every spring, we place seeds in the ground.(…) then weeks later watch shoots push their way into open air and stretch toward the sun.”(6)
“Twice a week, my grandmother, who lives a half-hour walk from our house, cuts bunches of flowers from her garden(…) then hauls them to sell at the market.
Even if my grandmother hadn’t told me the names of these flowers, I would have learned them by heart. In fifth grade, I receive a book about the flora of Hungary; I am obsessed with this book; hour after hour, I turn the pages, memorizing the bright bursts of colorful petals, the spindly root threads emerging from rotund bulbs, and the precise variegations and striations of leaves.”(10)

Die Kinder helfen beim Bau ihres eigenen Hauses, schlagen Nägel grade, legen Schiefer aufs Dach und schmirgeln Holzbalken. So etwas wäre heute als Kinderarbeit verboten, womit dann auch die für die Karriere von Katalin, die damals 9 Jahre alt war, wichtigen Erfahrungen und Erfolgserlebnisse verloren gegangen wären.

“By the time we finally move into this house, when I am ten , there isn’t an inch of it that I don’t know by heart. “ (13)
"But I, and likely every child I know, couldn’t tell you the exact place where work ends and play begins, where responsibility and pleasure cleave. The boundaries between these things are hazy, indistinct. We toil and we enjoy. We contribute and we receive.
And of all my early lessons that prepared me to be a scientist, that one, I think, is the most important of all: that work and play can bleed into each other, become one and the same, until the very idea of their distinction feels meaningless."(14)

Ihr Interesse am Verstehen der Natur, ihre Neugier, ihre Beobachtungsgabe und ihre Entdeckerlust lassen also sehr früh den Wunsch entstehen Naturwissenschaftlerin zu werden. Wieso es ihr zudem recht frühzeitig in ihrer Karriere möglich ist, sich auf ein Forschungsgebiet festzulegen, die Untersuchung von RNA, eine Grundlagenforschung, die die Entwicklung neuartiger Impfstoffe ermöglichen wird, lässt sich vermutlich auf Erfahrungen mit Krankheiten und deren Verhinderung in ihrer Kindheit und Jugend in Ungarn zurückführen. Daraus entstanden die Ziele ihrer Entdeckungspraxis und die Triebkräfte, die die Energie lieferten um dieses Ziel zu erreichen. In ihrer Autobiografie findet sich viel und qualitativ gutes Datenmaterial, um diese Facette von Entdeckerkarrieren, die bei ihr sehr ausgeprägt ist, zu beschreiben:

Um die Überlegenheit des Sozialismus über den Kapitalismus zu beweisen schreibt sie, investiert der Ungarische Staat in den Aufbau eines guten Bildungswesens für die Kinder und in das Gesundheitswesen: “Another way to invest in children is through a robust healthcare system”. (32) Von beidem profitiert sie, sie bekommt eine sehr gute Ausbildung, hat engagierte Lehrer, die sie fördern und sie macht Erfahrungen mit Impfkampagnen gegen Kinderkrankheiten. Sie selbst erhält ihr erstes Vakzin, eine Polioschluckimpfung, früh, eine offenbar sehr eindrückliche Erfahrung: „I was I kindergarten when the teachers lined up our whole class and marched us out of school, through town, to a doctors’s office. There we stood in a long line, girls in dresses and boys in shirtsleeves. One by one, we approached the medical team, who offered us a teaspoonful of liquid: a drop of the Sabin polio vaccine.” (32)

Kindersterblichkeit und schwere Erkrankungen von Kindern waren verbreitet. Sie schildert die Ängste der Eltern vor dem Virus, bevor es Impfungen gab. Aus ihrer Wahrnehmung der Ängste der Eltern um ihre Kinder und aus ihren frühen Erfahrungen mit Impfkampagnen und den damaligen Möglichkeiten der Gesellschaft, die Ausbreitung von Viren zu verhindern, hat sich vermutlich ihr Motiv entwickelt ihre Begeisterung für Wissenschaft zu nutzen, um an der Entwicklung weitere Impfstoffe zu arbeiten, die dieses Leid zu verhindern.

“There seemed to be no logic to this virus. Why did some kids escape unscathed, while other never walked again? Why did some have only mild fever, while other remained paralyzes for the rest of their lives? Parents had never known a world without fear of polio. So when polio vaccine finally became available (…) the Party took an active role in getting it to Hungarian children. Their efforts were, by all measures, extraordinary. By the time I was fourteen, in 1969, the country had already seen its last case of wild polio - fully ten years before the United States, and fifteen years before the UK.” (33)
“My mother also had strong memories of polio from her days working in the pharmacy; she remembered relatives of infected children entering the pharmacy to get medication.” (33)
Es gibt weitere Impfkampagnen, z. B. gegen Tuberkulose.

Als die Maul- und Klauenseuche die Tiere befällt, macht sie Erfahrungen damit, wie die damalige Gesellschaft versucht, die Ausbreitung von Viren auf die Menschen zu verhindern.


“We took this virus as seriously as one that threatened our own health. To keep the virus from spreading, the whole community stayed home for several weeks. Those who cared for cows at the agricultural cooperative near the outskirts of town, slept at work; they were not allowed to leave and see their families, less they carry the virus back into town. For weeks it went on like this. Total lockdown.“ (34)
„In 1968, when I was thirteen, there was a worldwide flu pandemic. This pandemic (…) was’t as bad as the 1918-19 flu pandemic, which was still present in some peoples’s memories. But it wasn’t mild - it would kill somewhere between one million and four million people globally before it was gone. Yet again, we restricted our movement, limiting our contact with others. We scrubbed. We disinfected. I suppose the Party encouraged this, but nobody complained about the government overreach. This was a virus; it had no ideology, no political agenda. If we weren’t careful, it would spread. Then we would all suffer. Those were just the facts. That’s how viruses works.”(35)

Ein weiterer Auslöser für die Entwicklung ihres Motivs ist vermutlich darin zu suchen, dass sie als Kind sehr oft krank und auch insgesamt eher schwächlich war und nahezu traumatisierend wirkende Krankenhausaufenthalte erlebt hat. (36-37)

Mitgefühl mit andren, der aus dieser eigenen Krankheitsgeschichte entstehende Wunsch sich und anderen solche Erfahrungen zu ersparen sowie die sensible Wahrnehmung der Bedrohung des Lebens, die von den Viren ausgeht und die Menschen in Angst versetzt, wie auch die positive Wirkung von Impfkampagnen und Vorsichtsmaßnahmen während einer Epidemie oder Pandemie und der Respekt vor der Macht des Virus, so kann man vielleicht die Keime für die Entscheidung, ihr Leben der Forschung zu widmen, bei Katalin Karikó verstehen.

Frühe Förderer und fördernde Rahmenbedingungen ihrer wissenschaftlichen Karriere und Gefährder

2. Sie zeichnen sich schon in der Schulzeit oder im Studium durch einen großen Arbeitseifer aus, für ihre Umwelt teilweise besorgniserregend ist und bearbeiten ein Pensum, was weit über dem Üblichen liegt. Sie schaffen sich ihr eigenes Curriculum, unabhängig von dem der Schule oder des Studiums, und sie haben große Freude am Lernen. Darüber hinaus ist bei ihnen ein ausgeprägtes Talent vorhanden, das ihnen die Arbeit leicht macht. Kommen sie aus familiären Verhältnissen, in denen dieses Talent nicht relevant ist oder nicht erkannt wird, braucht es Menschen, die es erkennen und fördern

„Ihr Interesse an Biologie wurde teilweise vom hervorragenden Biologielehrer der Schule, Albert Tóth und teilweise vom Beruf ihres Vaters als Metzger getrieben. Ihre vorzüglichen Schulleistungen und Wettbewerbsergebnisse haben ohne Schwierigkeiten die Türe zur Universität Szeged geöffnet, die über eines der stärksten biologischen Studienprogrammen und über eine Garde von Professoren verfügte, die eine führende Rolle in den modernen Forschungen hatten.“ (Quelle 2)

Der Lehrer erkennt ihr Interesse an Naturwissenschaften und ihr Talent dafür und fördert sie. Er bietet außerhalb der Unterrichtszeiten Biologie- und Chemieclubs an, an denen sie mit Begeisterung teilnimmt und einen hohem Arbeitseifer an den Tag legt.
“In elementary school I got my first official introduction to science. I joined a chemistry club run by our teacher.” (38)
Sie behält ihn - ein Glückfall für sie - als Lehrer für Naturwissenschaften in der Gymnasialzeit.
"We have been discussing, among other things, molecular biology, the way life depends on, and is transmitted by, genetic material. DNA and RNA are the building blocks of life, essential to life, yet they themselves are not alive. They break down into molecules, then into atoms."44
Die Inhalte und seine Art zu lehren und sein Glaube an sie als zukünftige Wissenschaftlerin bezeichnet sie als einen der drei wichtigsten Einflüsse auf sie und ihrer Karriere in der Schulzeit.
"In his eyes, I am more than the child of a butcher, more than Kish Karikó. I am a future scientist. Never mind that I don’t personally know any working scientists, Mr. Tóth believes I’m capable of becoming one. He believes I can think for myself about big ideas and thinking this: Someday I, too, will be a scientist." (45-46)

By seventh grade, I began participating in chemistry, biology, and geography competitions. By eighth grade, I became the best biology student in Kisújszállás…and then, from there, the best in the county. (…) Winning the county competition meant that I was invited to Budapest, to represent the county at the national biology competition. (41)” “In the end, I earned third place, making me officially the third-best biology student in the whole country. (43)”
Sie besucht das Gymnasium und gewinnt den ersten Wettbewerb 1968 mit 13 und den Landeswettbewerb 1969 mit 14 Jahren. Dieses Ergebnis und die Förderung von Kindern aus Arbeiterfamilien ermöglicht ihr die Teilnahme an der Summer School der Universität Szeged, die auf die Zulassung zum Studium vorbereiten. Sie arbeitet hart, vernachlässigt ihre Gesundheit, wie übrigens auch Marie Curie in den Zeiten, wo es um das Bestehen von Prüfungen geht, die die Forscherkarriere ermöglichen oder für immer verhindern würden.


“My schedule during this summer program was grueling: Wake up at 5:00 a.m. Do homework. Attend classes from morning until evening. Do more homework. Sleep, but just a little. Wake up at 5:00 a.m. and start again. I read until the words and formulas blurred. My neck and shoulders hurt from hovering over my books. I ate only what was necessary to keep me going. I rested just enough that I might be able to wake the next day and do it again. I devoured everything the professors taught me, every detail, every scientific term—things that I’ve been told make other people’s eyes glaze over, but not mine. Never mine. I wanted to learn it all, every bit, and the more I learned, the more complex and fascinating our world became. And beneath all this was also some anxiety: Was I ready for university? Could I pass an entrance examination? And once at university, could I possibly succeed?”(56)

“During the summer of 1972, at age seventeen, I studied at the University of Szeged. I couldn’t have been more elated with this honor. It was here, at the university, that Albert Szent-Györgyi discovered vitamin C. It was here, too, that Szent-Györgyi identified key elements of respiration in muscle tissue, revolutionizing our understanding of the cell. Across the Tisza River, which bisects the city, was the new Biological Research Center of the Hungarian Academy of Sciences, which employed Hungary’s most esteemed biologists.” (55-56)

Szent-Györgyi, Medizinier und Biochemiker, gewinnt den Nobelpreis für Physiologie und Medizin 1937 für seine Grundlagenforschung, die zur Identifikation des sogn.Krebs- oder Citratzyklus geführt haben, also um biologische Verbrennungsprozesse. Die gefühlte Nähe zu oder Begegnung mit Nobelpreisträgern spielt auch bei anderen, z.B. Stefan Hell, eine Rolle, dessen Universität oft solche einlädt oder bei Marie Curie, die bei ihnen in Paris Vorlesungen hört.
Im Gymnasium schreibt die Klasse von Katalin einen Brief an "Albert Szent-Györgyi USA", es dauert eine Weile und sie bekommt eine freundliche Antwort von ihm: "To the enthusiastic cultivators of science in Kisújszállás" "By then I had no doubt: This great scientist is talking to me. Cultivator of science. Oh yes, I am."(47) Vielleicht wird er zum Modell für sie, sowohl was die Forschungsgebiete als auch was seine erfolgreiche universitäre Karriere in Europa vor dem Krieg und die Migration von der Universität Szeged 1947 in die USA anbetrifft.

In der Zeit an der Summer School entscheidet sie sich endgültig für Biologie als Studienfach.
Sie erreicht die höchste Punktzahl von allen bei der Zulassungsprüfung zur Universität und bekommt später dreimal statt einmal ein Stipendium vom Staat, was ein Glück ist, denn ihre Eltern können das Studium nicht finanzieren. Neben der Förderung durch den Lehrer gibt es die für Kinder aus Arbeiterfamilien, die die Gleichstellung mit solchen Akademikerfamilien ermöglichen sollten. Was ihr vermutlich fast zum Verhängnis geworden wäre und ihre Karriere hätte beenden können.

Ein ihr gegenüber missgünstig eingestellter Lehrer (der diese Förderung ablehnt und einen Sohn hat, der sie vermutlich nicht bekommen wird) bringt ein Disziplinarverfahren gegen sie in gang, als sie sich ihm aus gutem Grunde widersetzt. Die anderen Lehrer unterbinden dies sofort, es hätte bedeutet, dass sie nicht studieren könnte. Dann droht er ihr seine Kontakte zu nutzen, um ihre Aufnahme an die Universität zu verhindern und versetzt sie in Angst.
”When I received my acceptance, I thought about Mr. Bitter, who — because on a beautiful autumn day I’d sat down after completing my work — tried to block me from getting into university. Looking back, I now see that in attempting to derail me from university, he was attempting to keep me from everything that followed—my whole life. He was trying to rob me of all that I would accomplish later, and everyone who would be affected by my work. And all for the pettiest of reasons. The man had failed. But still, I’d learned something from him, some important things: Not everyone is rooting for me. Not everyone wants good things for me. Not everyone wants my contributions. Some people may even choose to hate me. Okay, then. Noted.” (60-61)

Studium und Promotion in Ungarn

Ein weiterer Glücksfall in ihrer Karriere ist es, dass an der neu gegründeten Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Szeged, die sie bewusst auswählt, junge, kompetente und an innovativen Forschungsfragen arbeitende Hochschullehrer sowie Forscherinnen des Biologischen Forschungszentrum der Ungarischen Akademie der Wissenschaften unterrichten. Es gibt neun Abteilungen, sie entscheidet sich nach dem Grundlagenstudium für die Biochemie. Das fachliche Niveau ist hoch und das der empirischen Forschung in Natur und Labor auch. Das merkt sie, als sie in die USA auswandert und feststellt, dass es dort zum Thema RNA und mRNA kaum Forschung gibt. (Quelle 3) Erstaunlicherweise ist die Freiheit der Forschung und Lehre in den Naturwissenschaften im kommunistisch regierten Ungarn zu der Zeit ziemlich groß. (Quelle 2)

Dass sie sich ein eigenes Curriculum aufbaut, ist eher unwahrscheinlich. Das Studium ist durchstrukturiert und vermutlich hat sie genügend Möglichkeiten in dieser Pionierphase der Organisation und der des Fachgebiets, sich ihr Thema zu suchen, an der Entdeckung einer funktionierenden mRNA zu arbeiten und von den Hochschullehrern gefördert zu werden. Sie beschäftigt sich schon in der Diplomarbeit (1976-1978) mit der Suche nach Lipiden, die für der Transport von DNA in Säugetierzellen verwendet werden könnten.

Sie will promovieren und braucht dafür ein Labor. 1978 wird sie in die renommierte Forschungsgruppe um Jenö Tomasz am Biologischen Forschungszentrum berufen, die Grundlagenforschung in der Nukleotidchemie zum Thema der Synthetisierung von RNA macht. Sie baut das neue Labor auf, eigentlich keine Aufgabe für eine Promovendin, experimentiert und arbeitet an ihrer Dissertation. Finanziert wird ihre Stelle von einem Pharmaunternehmen, das davon ausgeht, dass aus dieser Grundlagenforschung bald ein Vakzin hervorgeht.

"Science at the cutting edge" (102) "Now imagine if someone could make 2-5A in a lab. Imagine if someone could deliver 2-5A to the cells - with a liposome, say. This could be a powerful antiviral. An RNA that can be used as medicine. This idea was so exiting zu me." (107)
"I never, ever wanted to leave the place."(112)

Sie hat das Ziel ihrer Forschung gefunden, die Entdeckung von Medizin, die auf mRNA aufbaut.

„Katalin Karikó beteiligte sich an der Forschung, die Ende der 1970er Jahre bahnbrechend ihrer Zeit voraus war. In den frühen 1980er Jahren waren ihre Forschungen erfolgreich: Die durch Liposomen eingebrachte DNA bildete mRNA und anschließend Proteine in den Zellen. Schon hier lernte sie, wie wichtig die Verpackung bei dem Transfer von Nukleinsäuren in die Zellen ist.“ (Quelle 2)

1982 schließt sie ihre Promotion in Biochemie an der Universität Szeged zu diesem Thema ab. Es werden 14 Jahre harter Arbeit, bis ihr der Durchbruch gelingt und sie Ende 1996 die Entdeckung macht. Wie alle Entdecker und Entdeckerinnen arbeitet sie mit einer Zähigkeit an ihrem Ziel, die typisch für diese Menschen ist und auch ihr schließlich Achtung und Bewunderung einträgt.

3. Die Entwicklung und praktische Umsetzung der eigenen Idee ist das Karriereziel von Entdeckern und Erfindern. Sie streben keine vorgebende Karriere an und folgen den Karrierepfaden in Institutionen oder Organisationen nicht.

Der erste Satz trifft auf Katalin Karikó zu. Wäre 1985 nicht die Finanzierung ihrer Stelle durch den Drittmittelgeber, das Pharmazeutisches Unternehmen abrupt beendet worden, weil sich keine verwertbaren Resultate einstellten, und hätte sie damit nicht ihre Postdoc-Stelle verloren, hätte sie vermutlich eine klassische Hochschulkarriere in Ungarn machen können, die es ihr ermöglicht hätte, ihr Forschungsziel zu verfolgen. Das Erreichen von Status war nicht ihr Ziel, sondern die Nutzung desselben für die Schaffung von Rahmenbedingungen für ihre Entdeckerpraxis.

Da sie keine Perspektive mehr in Ungarn für ihre Forschung sieht, entscheidet sie sich die Hochschule und Ungarn zu verlassen, bewirbt sich an mehreren Universitäten in Europa, wo Wissenschaftler an der mRNA forschen, bekommt aber keine Stelle, weil sie kein Stipendium oder eine andere Finanzierung ihrer Stelle mitbringen kann, so etwas ist in Ungarn zu der Zeit nicht möglich. Sie nimmt eine Stelle in den USA an der Temple University in Pennsylvania an, die ihr ein Gehalt und eine Aufenthaltserlaubnis, eine Greencard, für die USA bietet. Eine radikale Entscheidung für die Fortsetzung ihrer Entdeckertätigkeit, die allerdings nicht die erhofften Rahmenbedingungen dafür bringen wird und zusätzlich noch einen Bruch in ihrer Karriere an Hochschulen bedeutet.

Familie und Karriere?

4.Sie nehmen kaum Rücksicht auf ihre Familie, Freunde und sich selbst, all dies muss hinter das Entdecken zurücktreten. Die Vereinbarkeit von Privatleben und Entdecken gelingt, wenn das private Umfeld die fundamentale Bedeutung des Entdeckens für den Entdecker versteht, akzeptiert und ihn unterstützt.

Sie hat eine Familie: 1977 lernt sie ihren Mann Béla Francia kennen, 1982, dem Jahr in dem sie ihre Promotion abschließt, wird ihre Tochter Zsusanna geboren. Sie äußert sich in einem Interview zur Vereinbarkeit von Privat- und Entdeckerleben:

„«Frauen sollten eine Karriere und eine glückliche Familie haben.» Sie habe in Ungarn und in den USA das Glück gehabt, auf eine professionelle Kinderbetreuung für ihre Tochter zurückgreifen zu können, sagte sie der NZZ. «Ich habe den Satz ‹Ich opfere mein Leben für meine Kinder› unzählige Male von Frauen gehört.» Aber das sei der falsche Ansatz. Man solle nicht seine Kinder benutzen, um seine Karriere zu beenden. «Sie sind genauso die Verantwortung des Ehemanns.» Ihr Tipp für Frauen sei es, sich einen Mann zu suchen, der dies anerkenne.“ (Quelle 3)

Diese Auffassung teilt sie mit Marie Curie! Die Vereinbarkeit gelingt offensichtlich, ihr Mann unterstützt sie in der Betreuung ihrer 1982 geborenen Tochter und selbst bei der radikalen Entscheidung, ihr Land zu verlassen - und das noch unter unglaublich erschwerten Bedingungen - und auszuwandern. Die Basis dafür: Sie sind schon drei Jahre zusammen und sie überlegt, die Beziehung zu beenden, weil sie sie von der Arbeit abhält. Er macht ihr einen Heiratsantrag und sie macht zur Bedingung, dass sie weiter arbeiten wird: "I'd told him many times that I would never stop working. Not to accomodate his schedule or anyone else's. Work would be my priority. And always, he said the same thing: I understand.(...) Your work comes first.It's okay"(...) Well I finally said.(...) In this case, we can get married." 117)
Er steht zeitlebens hinter ihr zurück und gibt ihr seine volle Unterstützung, ein Glücksfall für sie! Wie auch die Tochter, die ein unproblematisches und zufriedenes Kind ist und sich auch in dem neuen Land bestens zurechtfindet. Wie auch Marie Curies Töchter ist sie äußerst erfolgreich, sie wird zweimal Olympiasiegerin und fünffache Weltmeisterin im Rudern.

Ihre Karriere an den amerikanischen Hochschulen

9.Bestehende Institutionen und Organisationen, die auf Bewahren setzen und sich Entdeckungen und Innovationen gegenüber ablehnend verhalten, fördern diese Menschen nicht. Sie unterstützten eher mittelmäßige und an Karriere in diesen Institutionen orientierte Menschen. Sie grenzen Entdecker aus, weil sie ihre Regeln nicht achten, nicht befolgen können und wollen und weil sie radikale Innovationen anstreben, die die bestehenden Grundannahmen und Axiome infrage stellen
10.Umgekehrt lehnen die Entdecker diese auf Bewahrung ausgerichteten Institutionen und Organisationen ab, weil sie sie an der Erreichung ihres Karriereziels hindern (3., 6., 7.). Organisationale Strukturen und Prozesse zu bedienen oder sich führen zu lassen, hält sie von der Arbeit an ihrer Entdeckung ab. Die Schaffung von Rahmenbedingungen für die Arbeit an der Entdeckung ist wichtiger, als klassischen Karrierepfaden zu folgen und die damit verbundenen Belohnungen wie Status, Geld, Macht und Zugehörigkeit zu Organisationen zu bekommen. Entdecker suchen oft lange und immer wieder nach einer geeigneten Funktion/Position in oder am Rande von Organisationen. Wenn sie Glück haben, finden sie solche, die ihnen eine Arbeitsaufgabe geben, die nah an ihrer Entdeckung liegt, oder solche, die ihnen Zeiten, Räume und Ressourcen dafür bereitstellt und sie in Ruhe arbeiten lassen. Oder sie finden Menschen in etablierten Organisationen, die das Talent und die Bedeutung der Idee erkennen und den Mut haben das Risiko einzugehen, solchen Orchideen eine Chance zu geben und das offensiv zu vertreten.

Die folgenden Zitate aus Ihrer Autobiographie handeln beide Seiten dieser Beziehung ab, die der Entdeckerin zur Organisation und die der Organisation zur Entdeckerin. Sie findet immer wieder Menschen, die sie unterstützen, ihr Jobs geben und einen geschützten Raum für ihre Forschungsarbeit. Allerdings ist ihr eine Hochschulkarriere versperrt, sie kommt nicht in den sogn. Tenure Track, die Laufbahn zur Professur. Sie ist wie sie sagt ‚stubborn‘, sie stellt ihre Forschung an die erste Stelle, sie kann und will sich nicht an die Werte und Gepflogenheiten der amerikanischen Universitäten anpassen. Sie kann die ökonomischen Prinzipien, nach denen Hochschule im kapitalistischen Amerika funktionieren, nicht akzeptieren und auch nicht bedienen, so scheitert sie bei der Beschaffung von Drittmitteln und dem Verkauf von Produkten der Forschung mit ihrer Firma. Sie scheitert zweitens nicht in erster Linie daran, dass diese Hochschule auf Bewahren setzt, sondern daran, dass sie auf ihrem Forschungsgebiet, das in den USA im Gegensatz zu Ungarn nicht im Mainstream der Forschung liegt, beharrt und die auf dem Mainstream basierenden Machtverhältnisse an der Hochschule und im Veröffentlichungsmarkt ignoriert.

Die erste Station: Temple University in Pennsylvania.
Das Labor des Departments for Biochemistry ist eine Enttäuschung, schlecht ausgestattet, wenig gepflegt und von einem nahezu cholerischen Chef, Dr. Suhadolnik geleitet. Sie hält durch, lehnt sich nicht auf, auch als er ihr verbietet, in der Arbeitszeit Fachliteratur zu lesen, aber er lernt ihre Arbeit zu schätzen.
Nach drei Jahren dort erhält sie 1988 ein attraktives Stellenangebot an die John Hopkins University in Baltimore und fährt in die Ferien nach Ungarn, ohne zuvor ihren jetzigen Chef darüber zu informieren, der das aber irgendwoher erfährt.
“Maybe I should have asked Suhadolnik before my trip for permission to transfer labs. But would that have changed anything? I’m not so sure. (…) He presented me a choice: I could stay in his lab and keep working or I could go home to Hungary.” (155)
“All this time Suhadolnik believed I was working for him. But I was’nt. I was working to solve scientific problems. My North Star was the science itself.”(157)

Die zweite Station: Uniformed Service University of Health Science
Sie bekommt einen Job, der ihr eine Greencard und Verdienst ermöglicht und pendelt von Philadelphia nach Bethesda in der Nähe von Washington. „The Position was a post-doctoral fellowship, in the pathology department of the Uniformed Service University of Health Science, a military medical school.“ (158) Ihr Chef forscht an Interferonen zur Krebsbekämpfung. Sie arbeitet Tag und Nacht an Experimenten, liest alle wissenschaftlichen Zeitschriften, die sie bekommen kann und bewirbt sich weiter.

Die dritte Station: Medical School at the University of Pennsylvania
Die erste Phase: Die Arbeit mit Elliot Barnathan im Kardiologischen Laboratorium

“I kept applying for jobs, introducing myself to potential employers with handwritten letters. One of the jobs I’d applied for was at the medical school at the University of Pennsylvania (Penn). A new cardiology lab. This was a research assistant professor position —not especially glamorous, but it was right in the heart of Philadelphia, and the lab was specifically looking for a molecular biologist.”(161)

“Years later, after the world had turned upside down and strangers suddenly knew my name, a young doctor with whom I’d worked in the third of these episodes (the Weissman years) would write an essay about me. He’d describe me—neither inaccurately nor unkindly—as someone whose career was discussed 'only in hushed tones as a cautionary tale for young scientists'.”
(163)

“Because I’d be a molecular biologist in a clinical department of the medical school - a PhD in a sea of MDs - I might be a bit of a fish out of water. But that was fine with me; I had research skills that a clinician couldn’t have. Also, working among MDs would almost certainly give me the same benefits that working among biochemists had offered. It was the thing I valued most: a chance to learn. Besides, let’s face it: When hadn’t I been a fish out of water?
The position didn’t pay much, and it wasn’t tenure-track, which meant I’d never have complete job security. But it had other advantages: I’d be able to live full-time with my family again. I also hoped that Penn would help me get my green card. My position as research assistant professor would last five years; at that point, the university would decide whether to promote me to research associate professor. While this promotion still wouldn’t put me on the tenure track, at least it would give me an opportunity to establish my own lab and work with students.” (165-166).

Plenty of students at Penn did roll their eyes about me—about the articles I waved around that didn’t seem directly relevant to their career aspirations or about my demands for precision in the lab or about the fact that I was a non-tenure-track faculty member who did her own experiments because she didn’t even have any postdocs working with her. (176).
I was basically a nobody at Penn—a nobody who could at times be sharp with people. (177)

Sie beginnt 1989 im Labor der kardiologischen Fakultät unter der Leitung von Elliot Barnathan, einem Mediziner, der sehr an Grundlagenforschung interessiert ist, zu arbeiten.
Er glaubt an ihre Arbeit glaubt, hat sie eingestellt und gibt ihr den Freiraum, im Labor mRNA herzustellen, was bisher noch niemandem gelungen ist. Als die Universität eine neue Leitung bekommt, Bill Kelley „an evangelist for gene therapy“, wird CEO (181), ändert sich ihre Lage. Er ersetzt zwei Führungsebenen durch seine Leute, Ed Holmes wird Elliots Vorgesetzter und seine Frau Judy Holmes ihre und Gentherapie wird der neue Forschungsschwerpunkt der Universität, ausgestattet mit einem hervorragenden Labor. Ihre Vorgesetzte scheint eine begabte Wissenschaftsmanagerin zu sein, die in der Lage ist sich erfolgreich in Organisationen zu bewegen.

“I won’t say that Judy and I were completely different. In fact, she seemed as headstrong and ambitious as I was. My ambition, as I’ve said, was one of curiosity. I was a scientist through and through; I wanted more than anything else to understand how the world works. In my quest for knowledge, I’d set exacting standards for myself and for my study design. By living up to these standards’ day after day, I’d become a very good scientist. But I was learning that succeeding at a research institution like Penn required skills that had little to do with science. You needed the ability to sell yourself and your work. You needed to attract funding. You needed the kind of interpersonal savvy that got you invited to speak at conferences or made people eager to mentor and support you. You needed to know how to do things in which I have never had any interest (flattering people, schmoozing, being agreeable when you disagree, even when you are 100 percent certain that you are correct). You needed to know how to climb a political ladder, to value a hierarchy that had always seemed, at best, wholly uninteresting (and, at worst, antithetical to good science). I wasn’t interested in those skills.I didn’t want to play political games. Nor did I think I should have to. Nobody had ever taught me those skills, and frankly I wasn’t interested in them anyway.” (183)

Bei Vorträgen von eingeladenen Wissenschaftlern hält sie sich nicht an die ungeschriebenen Regeln.
“Sometimes I asked questions of the speaker, which I noticed caused my fellow audience members to shift uncomfortably in their seats. I sensed I was violating some kind of politesse, but I didn’t care. Were we building socialites or scientists here?”(191)

“At Penn, nobody can work more than five years as research assistant professor. It would be promoting or nothing, up or out. And the authority for this promotion-or-out-decision? It belonged not to my immediate boss Elliot, but rather to the chief. It belonged to Judy(..) My fate was I Judy’s hands.” (187)

“When I was first hired, Elliot assured me we’d pursue grants for my work. He was good at writing grants; he’d gotten great funding for his lab, including from the American Heart Association, from the National Institutes of Health, and from private investors. He was optimistic that my mRNA research would attract funders, and so was I. (194)
Anyway, I never got a dime for my mRNA projects. As you might imagine, this didn’t go over so well at Penn.” (196)

“Fortunately, Elliot was one of the few who had stuck around. In his lab, I was learning every day. I was contributing to a body of knowledge. I was pursuing something that I was certain would be useful … someday, to someone, even if it was only in a small way, even if it didn’t happen in my lifetime. I was content to stay here for as long as I could.” (197)

Noch ein Karriereknick
“My time was up. Five years had passed since I’d been hired. My up - or - out moment had arrived. And apparently, the calculation was simple: I hadn’t brought in money. No grants, no private funding. This was apparently what anyone needed to assess my value to the institution: I had none. The message from Judy, the chair, was this: I would not be promoted to research associate professor.

“I’m sorry,” Elliot said. I could tell this was true. He was sorry. But an Ivy League research institution is so much bigger than any one clinical researcher. There simply wasn’t a path for someone like me.I wasn’t moving up, so it was time for me to move out.
But … what if I didn’t? What if I just … stayed on? That’s what I asked Elliot next. Did I have to leave?
As I said, no one had ever stayed past this moment without getting a promotion. There wasn’t even a title for a former research assistant professor who had been denied promotion but stayed on anyway. There had never been a need for one. We were in uncharted territory here.
It would be a demotion, that’s for sure. But still: What if I stayed?”
By February, I had a new title, senior research investigator. Béla was still in Hungary, still sorting out his visa. We talked on the phone sometimes, and when I told him my new title, he thought for a moment. “You’re saying no one at Penn has ever had this title?” “I don’t think so, no.” Béla chuckled then, in that way that always made me feel like all was still okay with the world. “Then you’ve made history! Congratulations!” (198-199)
Ohne die bedingungslose Unterstützung durch ihren Mann hätte sie diese Folgen ihre Entscheidung für das Entdecken vermutlich nicht verkraftet.

Der Moment der ersten Entdeckung - Breaking Through

“By this point in my career, I’d been working with lots of RNAs, but I hadn’t yet synthesized mRNA. I’d been fascinated by mRNA—the messenger that instructs our cells to make specific proteins—ever since I learned about the molecule as an undergraduate. I’d been struck then by the idea that we might someday use mRNA to coax our cells into making the specific proteins our bodies need to fight disease. The more I learned, the more convinced I was that mRNA held great therapeutic potential. And by the time I got to Penn, the science of mRNA was advancing fast.”(167-168)

Ende 1996, sie ist sieben Jahre dort und seit zwei Jahren runtergestuft auf die Position eines „Senior Research Investigators", ist sie mit ihm und einer Assistentin im Labor und betrachtet die Ergebnisse eines weiteren Versuchs mRNA in Zellen zu schleusen.

“Some moments in the lab you don’t ever forget. These are the occasions when you walk right up to the outer edge of human understanding. Then you take another step, crossing the threshold — breaking through — into new discovery.
In December 1996, Elliot, I, and Alice, the lab technician, were standing around a dot - matrix printer.” (203)
“In front of me, the printer had come alive, laying down its lines of dots. Again, and again, we listened to the printer’s insectlike zzzzzzzck, three seconds at a time, followed by the cla - clunk of the printer returning to the start of the next line.We had done an important experiment, the culmination of years of work. This experiment was the thing toward which we’d been working since I first joined Elliot’s lab seven years prior. We were testing whether we could coax cells to make the urokinase receptor by delivering the encoding mRNA.” (204)


"We’d begun with a group of cells that did not, on their own, make the urokinase receptor protein. We divided these cells into two groups: our experimental group and our control group. To the experimental group, we delivered lipid - packaged mRNA that coded for the urokinase receptor protein. To the control group, we delivered a different kind of lipid - coated mRNA, which did not code for the urokinase receptor.
We’d been fastidious, just as we had been with all the research that led to this moment. We gave the cells time to begin translation the mRNA. The, because urokinase receptors cannot be seen with a microscope, we added both groups of cells trace amounts of radioactive molecules known to bind specifically to urokinase receptors.)
The Alice began to ‘wash’ cells – rinsing away any of the radioactive molecules that had’nt bound to any potential urokinase receptors. If any radioactive molecules remained, it could be for one reason only: They had bound to urokinase receptors. And if urokinase receptors were present? Well, that meant the mRNA had worked."(204-205)

"Oh my god (we said so many time Oh my god, oh my God, oh my god): The results were beyond doubt. Our experimental cells were actually making urokinase receptors on their surfaces. We had successfully used mRNA to make a specific protein inside a cell. And we’d done it using technologies that were simple and inexpensive. There was tremendous clinical potential here. (…) By any measure, this was a breakthrough. A major one." (205-206)

“Already, I wanted to try this same experiment with different cell lines, using different quantities of mRNA. My mind was racing with a million ways to tweak this experiment, to retest, to reproduce the results again and again. As always, I wanted to make sure that this result was beyond doubt, that anyone else, taking the same steps, would be able to reproduce our results. I also wanted to see if we could get a better result, even more proteins.
But still, there is nothing like being the first to know something that no one else has ever understood (Here is how to make a urokinase receptor from mRNA you made in a lab, look what you can make cells do!). In that moment, as an unseasonal warm front passed through the City of Brotherly Love, creating a surreally balmy winter holiday, I felt powerful, wholly triumphant.” (206-207)

Sie muss sich gefühlt haben wie der Mensch auf dem Bild von Flammarion, der die Grenze der bekannten Welt -des Kosmos- durchbricht und in die unbekanntes Sphäre des Universums blickt.

Himmelsstürmer.png

Wanderer zwischen den Welten oder Wanderer am Weltenrand - Holzschnitt eines unbekannten Künstlers in Camille Flammarions Buch "L’atmosphère. Météorologie populaire" 1888 erstmals abgedruckt.
Mehr zum "Reiz der Terra Incognita": Grundannahmen über Entdecker und Entdecken

Ihre Karriere an den Amerikanischen Hochschulen Teil 2

Die zweite Phase an University of Pennsylvania: Neurosurgery Department
Elliot, ihr Chef verlässt die Universität kurz nachdem der Durchbruch zur Produktion von mRNA gelungen ist, und wird Vorstand eines Unternehmens, wo zu seinen Themen geforscht wird.(207)
“Elliot’s lab had been a bit like a protective force field — a lipid envelope, really, protecting me from forces that surely would have otherwise degraded me by now. Without Elliot, my days at Penn were numbered.” (213)

David Langer, ein Mediziner und ihr ehemaliger Student, ist von ihrer Forschung begeistert. Nach seiner Promotion bekommt er eine Position im Neurosurgery Department. Er hat seinen Vater, einen einflussreichen Professor für Neurophysiologie am Penn durch einen Schlaganfall verloren und widmet seine Forschung der Rettung der Menschen vor den Folgen des Schlaganfalls. Sie hat in ihm eine angesehenen und erfolgreichen Kooperationspartner. Sie forschen an der Verhinderung des Verklumpens von Blutkörperchen im Gehirn, z.B. nach einem Schlaganfall mithilfe von Zellen, die Stickmonooxid abgeben. David glaubt an die mRNA Therapie, nicht an die an der Universität vorherrschende "Human Gene Therapy".
“David approached the chair of the neurosurgery department, Eugene Flamm. He insisted that their department really, really needed a molecular biologist.” (214)
“Before long, I became a full - time member of the neurosurgery department.” (215)
Sie sind erfolgreich bei der Produktion der mRNA, publizieren, experimentiere in vitro, brauchen aber mehr reproduzierbare Resultate (219). Die Kooperation endet nach zwei Jahren, denn David geht mit dem Chef der Abteilung Eugene Flamm nach New York und sie verliert ihren besten Schüler und Kollegen im Labor.

Die dritte Phase an der University auf Pennsylvania: Die Kooperation mit einem Immunologen
Sie kommt eher zufällig mit Drew Weissman, einem Immunologen und Mikrobiologen, der an Impfstoffen gegen Infektionskrankheiten wie HIV, Malaria, Herpes etc. arbeitet, zu einem anderen Department gehört und ein eigenes Labor hat, ins Gespräch.
“Until this moment, my mind had been so occupied by the therapeutic potential of mRNA, I hadn’t been interested in vaccines. Now, standing by the photocopier that I resented having to share, I began to see a whole new prospect for mRNA. You need mRNA for a vaccine? Sure, I can do that, too!” (226)

Es ist ein Glücksfall für ihre weitere Arbeit an der Entdeckung, beide ergänzen sich in ihrem Wissen und entwickeln eine Kooperationsbeziehung über Abteilungsgrenzen hinweg, die viele Jahre trägt, bis sie schließlich gemeinsam die Entdeckung von Vakzinen auf mRNA Basis machen, die funktionieren.

Es gelingt ihnen ziemlich rasch einen mRNA Impfstoff zu entwickeln, der allerdings eine Immunantwort in Form von Entzündungen produziert. In diese Zeit - das Jahr 1999 - fällt das Ende der von der Universitätsleitung favorisierten Gentechnologie für die Behandlung von Menschen, u.a. auch der Entwicklung von Impfstoffen, das mit viel Geld aufgebaute Institut wird geschlossen. Ein Junge, der an einer Studie von Penn’s Institute for Human Gene Therapy teilnimmt und eine Behandlung dort bekommt, stirbt an den Entzündungen, die sie auslöst.
Für die beiden Forscher stellt sich nun natürlich die Frage, was diese Entzündungen auslöst, daran arbeiten sie die nächsten Jahre mit einer für Entdecker typischen Zähigkeit weiter. Sie machen hunderte von Experimenten, überprüfen immer wieder neue Hypothesen, arbeiten präzise und systematisch mit Variablen, Ausschlussverfahren und Simultanstudien.

Katalin Karikò sagt über sich, was ihr geholfen hat, diese lange Phase der ausbleibenden Erfolge durchzuhalten:"My whole life I'd been so driven - compulsively, obsessively. I didn't know anything but driven." (246) Triebkräfte, die energetische Dimension der Persönlichkeit, bringen eben nicht nur Energie für die Entdeckung, sondern treiben die Entdecker auch gnadenlos an. Außerdem hat sie früh gelernt, dass sie hart arbeiten kann und muss und auch nicht aufgibt.

Der Moment der zweiten Entdeckung - Breaking Through Two

Eines Tages ist auch diese Frage beantwortet, was in den mRNA Vakzinen Entzündungen auslöst, im Labor ist ihnen die Produktion eines Impfstoffs mit synthetischer mRNA gelungen.
So Drew and I had made a big discovery

Es ist Katalin Karikós zweite Entdeckung, die auf der ersten aufbaut. Die beiden Forscher schaffen nicht nur neues Grundlagenwissen über mRNA, sie erfinden auch die Verfahren zur Herstellung von modizifierter mRNA, hier fallen Entdeckung und Erfindung zusammen.


„When we ran our experiments comparing modified and unmodified mRNAs, we zeroed in on these TLRs.”260 (toll-like receptors)
“This meant that by modifying uridine, we could avoid the inflammation that until now had been associated with synthetic mRNA. This was, at long last, the information we needed—that the whole world needed! - to begin developing safe mRNA therapeutics. Eureka! (…)
I remember that I murmured, “It’s not immunogenic.” (Immunogenic is a biologist’s word for “induces immune reaction.”) I said it several times, as if repeating it were necessary to make it true: “It’s not immunogenic, it’s really not immunogenic.” This was amazing news, but we would soon learn that our discovery went further than that.” (261)
“So Drew and I had made a big discovery: By replacing the uridine with a modified version of that nucleoside, we could get our mRNA to evade detection by the immune system. But how effectively would this modified mRNA be translated into proteins? This question prompted a whole new series of experiments. (…) Swapping uridine with pseudouridine made our modified mRNA doubly beneficial. Not only did it keep our mRNA from causing a dangerous immune response, it also translated into much more protein!” (262)

“Thirty years I’d been doing this work. A day at a time, an experiment at a time, a lab at a time. And finally, finally, it was all here: We had a way to make mRNA in the lab. We could deliver that mRNA into cells. We could protect our mRNA from degradation. By incorporating pseudouridine into the mRNA, we could keep it from causing an inflammatory reaction. It also translated into a great deal of proteins. I was absolutely elated. This was a paradigm- shifting discovery, one that could usher in a new era of medicines and vaccines. The whole world would be interested in this. Every journal. Every biotech. Every research institution. We were just sure of it.” (262-263)

Die Zeit nach der Entdeckung

14. Entdecker sind, gemessen an ihren eigenen Maßstäben erfolgreich, wenn sie das entdecken, was sie entdecken wollten, wenn sie ihr selbst gesetztes Ziel erreicht haben.

Gemessen an ihren eigenen Maßstäben hat sie Erfolg, sie hat das Ziel ihrer Entdeckungspraxis erreicht, die Entdeckung gemacht, zusammen mit Drew Weissmann. Beide sind der Auffassung, dass sich ihre Entdeckung in der Professional Community verbreiten und Anerkennung finden wird und sie sie verkaufen und ein noch besser ausgestattetes Labor mit Eigenmitteln finanzieren können. Doch nichts von dem passiert.

16. Ist die Entdeckung in der Welt, so entfaltet sie unabhängig von den Intentionen des Entdeckers und seinem Wollen Wirkungen auf die Menschen und die Natur, es gibt mehrere Möglichkeiten. Es ist möglich, dass die Entdeckung als sinn- und nutzlos bewertet wird. Möglicherweise kommt sie zu früh, stößt auf Widerstand und wird viele Jahre später erst akzeptiert und eingeführt.

Das ist der Fall, was die Aufnahme in der Professional Community anbetrifft. Sie schicken ihren Artikel über ihre Entdeckung und Erfindung an die Zeitschrift Nature und bekommen innerhalb von 24 Stunden eine Reaktion der Herausgeber.
“Their editors rejected our paper outright as merely an “incremental contribution.” That was the first time I’d heard that word— incremental. But when I looked it up, I was stunned. They considered this a “small” contribution, rather than anything of importance? Didn’t the editors at Nature understand the implications here?“ (263)

Die zweite Wahl, die Zeitschrift „Immunity“ lässt sie immerhin durch das Peer Review Verfahren laufen, es werden Veränderungen vorgeschlagen und der Artikel letztlich doch nach einigem Hin und Her veröffentlicht. Es erfolgen keinerlei Reaktionen auf den Artikel.

“In the place where we’d expected attention, acclaim, there was only silence. This groundbreaking discovery had been met by a collective shrug. Our breakthrough had apparently failed to break through to, well, anyone.” (265)

Schaut man mit dem Wissen von heute auf diese Reaktion, so ist sie unverständlich und ein Schlag für die beiden Entdecker. Das oben zitierte Merkmal von Entdeckerkarrieren aber zeigt, dass diese Reaktion der Professional Community eine für Entdecker erwartbare ist. Die abservierten Genetiker werden sie nicht zur Kenntnis nehmen wollen, andere werden sie als irrelevant oder falsch bewerten und weitere vielleicht Sorge haben, dass ihre eigenen Grundannahmen dadurch infrage gestellt werden könnten.

Ihre Karriere an den Amerikanischen Hochschulen Teil 3

Wie reagiert die Hochschule, die immerhin das Patent, das die beiden erlangt haben, zugesprochen bekommen hat und die nun Lizenzen an Pharmaunternehmen verkaufen kann, die Impfstoffe nach diesem Verfahren herstellen können. Es ist üblich aber auch Gegenstand von juristischen Auseinandersetzungen, dass das geistige Eigentum von Wissenschaftlern, die während der Zeit der Arbeit an der Entdeckung angestellt und bezahlt wurden, üblicherweise der Hochschule gehört. Drew und sie gründen 2006 die Firma RNARx, die das Patent aber nicht nutzen darf. Sie bekommen einen Gründungszuschuss aus Drittmitteln, finden aber keine Investoren für die weitere Arbeit. ModeRNA, ein Startup von Forschern aus Harvard und dem MIT wollen ihr Patent kaufen, sie bekommen die Lizenz später von der Universität, die zuvor die erste Lizenz an die Firma Epicentre für 300.000$ verkauft hat.(274)

Während all dieser Jahre der Arbeit an der Entdeckung wird Katalin Karikó immer wieder von der Department-Leitung aufgefordert Drittmittel einzuwerben, um ihre Stelle zu finanzieren und in „Nature“ und anderen bekannten Zeitschriften zu publizieren. Man droht ihr, dass es Folgen für sie haben wird, wenn sie die pro Quadratmeter Laborfläche geforderten Eigenmittel nicht beschaffen kann. Obwohl sie ein recht geringes Gehalt bekommt, keine Mitarbeiter hat, und auch keine aufwändige Ausstattung ihres Labors, übt man auch nach der Entdeckung Druck auf sie aus, auch noch nach dem Verkauf der Lizenzen.

Ihr Vertrag muss verlängert werden, ihr Antrag wird abgelehnt:
“I personally went to the faculty affairs office to appeal. There an administrator told me thatif someone has been demoted from the faculty track at Penn, the university won’t promote her again. When I persisted in asking why, I was told that I was “not of faculty quality.” (275)
Im Mai 2013 wird ihr Labor ausgeräumt und sie findet ihre persönlichen Dinge in einem Karton im Flur. Der Leiter des Department erinnert sie daran, dass er sie 17 Jahre gewarnt habe, sie müsse Geld einbringen und bietet ihr einen sehr kleinen Raum an.
„That lab is going to be a museum one day” sagt sie, er müsse sich and Richtlinien halten erwidert er. “Standing there, I thought, I cannot do this anymore. I just cannot be here any longer.” (278)
Sie verläßt Penn.
“In 2013, I retired from Penn, retaining an adjunct title and access to the library. I was ready for something different, and I began to look at the biotech industry.”(282)

Ihr Resümee über die Zeit an der University of Pennsylvania:
„That’s because my three Penn episodes, for all their differences, followed a similar pattern: a series of setbacks punctuated by moments of extraordinary breakthrough. The breakthroughs, for the most part, remained almost entirely invisible. The setbacks, though? Those were full on display.” (163

A Changed World - Zurück nach Europa

Sie sucht nach Jobs in Firmen, die ihre Entdeckung anwenden wollen, also mRNA basierte Medizinprodukte entwickeln und vermarkten wollen. Die Zeiten haben sich geändert. ModeRNA hat so viel Fördermittel, dass sie mit der Entwicklung von Vakzinen anfangen können. Andere Firmen kennen sie und ihre Arbeit und wollen mit ihr sprechen. Sie hat durch die Entdeckung, die in diesen Kreisen bekannt geworden ist, eine andere Ausgangsposition und ein anderes Standing.
Zum individuellen Sinn, den sie mit ihrer Entdeckungspraxis verfolgt hat, gesellt sich der soziale Sinn, das meint, andere sehen ihre Entdeckung als sinnvoll an, zunächst sind es Menschen, die Unternehmen führen, ihre Professional Community tut dies erst, nachdem die Covid-Impfstoffe millionenfach produziert und verimpft sind.
Der kulturelle Sinn, die Bedeutung der Entdeckung für die Menschheit, wird sich noch herausstellen müssen. Es gibt immer noch Zweifel über die Ungefährlichkeit des Impfstoffes und es wird noch ein paar Jahre dauern, bis man Langzeitstudien über die Wirkung, die Nebenwirkung und Wirksamkeit der Impfstoffe hat und auch andere mRNA Medikamente entwickelt worden sind, die die Idee und das Verfahren der Produktion übernommen haben.

Am interessantesten findet sie eine deutsche Firma mit Namen BioNTech.
Sie hält im Juli 2013 in der Firma einen Vortrag und Uğur Şahin, einer der beiden Gründer und Eigentümer, erläutert deren Grundnahmen über die Behandlung von Krebs, die sie überzeugen, ebenso wie sein fachliches Wissen über mRNA, auf deren Basis die Firma Medikamente produzieren will und sein offenbar vorhandenes unternehmerisches Talent.


“BioNTech’s cofounders were physician scientists, a married couple, Uğur Şahin and Özlem Türeci.”
Beider Eltern kamen als Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland.
„Uğur and Özlem became doctors, and they met while working on a German cancer ward (Krebsstation). Both had been disappointed by the lack of good treatments for cancer patients. The available therapy weren’t precise enough, the weren’t fast enough.
Both believed there was great promise in immunotherapy— a treatment that enlists the body’s own immune system in fighting cancer. They’d founded BioNTech as a way to bring these medicines to bedsides quickly. The platform that they intended to use for their immunotherapy was mRNA.” (283)

“Two individuals can have the same kind of cancer, but their tumors might be only 3 percent similar. Until recently, the available cancer therapies treated highly individual tumors with one-type-fits-all options: radiation, surgery, and chemotherapy. Not only was this approach less effective than patients often needed but it also knocked out healthy cells. Immunotherapy based on mRNA, by contrast, had the potential to deliver the precise proteins a patient needed to fight their individual tumors.” (284)

Beide haben ähnliche Motive für ihre Arbeit, eine Mission, arbeiten hart, sie verstehen sich und respektieren sich, sie findet sein fachliches Wissen zu mRNA hervorragend. Sie kann nicht unter einem Chef arbeiten, der von ihrer Forschung nichts versteht.
Durch die Entdeckung hat sie eine sehr viel bessere Ausgangsposition als zuvor und stellt eine entdeckertypische Bedingung:

Uğur offered me a job — a good one: vice president. I told him that I would consider the offer only if I could continue to work on nucleoside- modified mRNA. He agreed.“ (285)

Sie will also keine reine Management- und Führungsfunktion, sondern auch selbst im Labor arbeiten und weiter forschen. Dieses Angebot anzunehmen würde bedeuten nach Deutschland zu gehen. Bela, ihr Mann, bestärkt sie wie immer darin diese Chance zu ergreifen, besteht aber darauf "ihr Leben nicht völlig umzukrempeln". Er bleibt in Amerika und sie geht davon aus, dass sie ein zwei Jahre dort arbeiten wird.
Sie geht nach Mainz, zurück nach Europa und nicht in eine Hochschule, sondern in ein Unternehmen.

Ihr Privatleben: Sie fliegt alle paar Monate nach Hause, arbeitet dort remote. Telefoniert abends in Mainz mit ihrer Mutter in Ungarn und bekommt eines Tages überraschend Besuch von ihrer Tochter und einem jungen Mann. Susan hat nach zwei Olympiasiegen und dem Gewinn von weiteren Wettbewerben ihre Sportkarriere beendet und aufgehört zu rudern, sie studiert und macht ihren MBA in Management. Sie hat Ryan, einen Projektmanager, kennengelernt, die Mutter ist überzeugt, dass sie zusammenbleiben werden.
Sie selbst lebt in einem kleinen Apartment, wie früher bescheiden und bedürfnislos, und arbeitet Tag und Nacht. Anfangs ist sie offenbar recht unglücklich.

Ihre Arbeit bei BioNTech

BioNTech ist nicht mit der Entwicklung von Vakzinen gegen das Coronavirus gestartet, sondern arbeitete zunächst an Therapien gegen den gegen Krebs. Wir sind noch gut sechs Jahre vor der Covid Pandemie.
Sie bekommt eine Position mit für sie idealen Rahmenbedingen und auch die Kultur ist eine andere als an den Hochschulen, in denen sie gearbeitet hat.: Senior Vice President für RNA-Protein-Ersatztherapien. Sie wird respektiert und geschätzt als Wissenschaftlerin und Entdeckerin, ihre Fachlichkeit ist unumstritten, nicht nur bei den Mitarbeitern, sondern auch bei denen, die die Macht in der Organisation haben. All das ist in diesem Biotechnologie-Unternehmen anders als an den amerikanischen Hochschulen. Und sie darf weiter forschen und an Entdeckungen und Erfindungen arbeiten.
“I liked working at BioNTech. I liked it a lot!” Sie beschreibt das Selbstverständnis, die Kultur und den Umgang miteinander so:


„I liked working in the biotech industry. There was something so refreshing, so honest, about what we were doing and how we talked about it. We were a business. We were there to create products based on good science. We needed investor money to do our research, and we hoped to make even more money by selling the products that resulted from our work. It was straightforward, direct.
Money mattered in academic research, too. But there, so many people pretended it didn’t. They papered over the influence of money with symbols of prestige: publication records, citations, committees, fellowships, alma maters, “influence.”

There was such a practicality to industry, too. The science worked or it didn’t. If the science was good, if the data supported one approach over another, that’s what mattered. It didn’t matter whether you spoke with an accent or whether you’d attended an Ivy League school or if you were good at schmoozing.

At BioNTech, employees came from sixty- five different countries. Not all of us spoke German, but all of us spoke science. For the first time in my life, I no longer did every experiment myself. I led a basic science team, and together we did experiments to figure out how to improve our mRNA and its formulations. BioNTech made steady progress toward mRNA cancer immunotherapies. We also began working on mRNA vaccines for various infectious diseases. This meant I got to keep working with Drew (Weissmann), too. BioNTech began funding Drew’s lab at Penn, allowing him to make concrete strides toward a whole host of new vaccines. This includes HIV vaccine that had begun our journey of discoveries.
Although we were running clinical trails and hat our own products, we also formed partnerships with other, larger companies. One of the was announced in 2018: a partnership with the pharmaceutical giant Pfizer to create an mRNA-based influenza vaccine. We began doing studies.
I liked working at BioNTech. I liked it a lot.” (288-289)

Sie hat eine Position, die zwar auch Führungsaufgaben umfasst -sie hat die Leitung für ein Team- und eine Position an der Spitze des Unternehmens, die ebenfalls fachlich definiert ist: Sie bestimmt die Richtung der Forschung in ihrem Fachgebiet. Eine auf Management ausgerichtete Position wie sie Uğur Şahin innehat, wäre für sie uninteressant, weil sie die damit verbundenen Aufgaben von weiterer Forschung und Entdeckung abhalten würde. Offensichtlich sind die beiden Gründer und Inhaber Uğur Şahin und Özlem Türeci in der Lage, dieses Unternehmen zu führen und gute strategische Entscheidung zu treffen. Das zeigt sich zu Beginn der Corona Pandemie 2020, als die Eigentümer die radikale Entscheidung treffen, die gesamte Forschung, Entwicklung und Produktion von Medikamenten gegen den Krebs auf die Entwicklung von Wirkstoffen gegen den Coronavirus umzustellen, eine risikoreiche unternehmerische Entscheidung.

Sie bleibt von 2013 bis 2022 dort, vielleicht ist ein weiterer Grund auch darin zu suchen, dass dieses Unternehmen von Migranten gegründet wurde, wie sie auch eine ist, und die Mitarbeiter aus 65 Ländern kommen. Es hat sich dort offensichtlich eine Kultur entwickelt, in der nicht mehr soziale und nationale Herkunft und die Zugehörigkeit zu Eliten zählt, sondern die Forschung, die die Wissenschaftler faktisch machen.
Das Verbindende ist „all of us spoke science“ und das Ziel, das des Unternehmens wissenschaftsbasierte gute medizinische Produkte zu entwickeln. Vermutlich trägt das dazu bei, das Katalin Karikó dort viel mehr Jahre bleibt als gedacht.
Sie ist kein Outsider inside the System mehr, sondern ein Insider inside the System!

„ No not evrything was easy“ (289). 2016 wird bei ihr Krebs in der Ohrspeicheldrüse, der Drüse, die Speichel produziert, diagnostiziert. Susan kommt aus den USA , um sie zu unterstützten, es braucht mehrere chirurgische Eingriffe. 2018 stirbt ihre Mutter 89jährig an Nierenversagen. Aber verglichen mit dem was vorher war, lief es bemerkenswert gut, schreibt sie (289).

Die Pandemie bringt die Entdeckung in die Welt

Dann kommt die Pandemie.“Then one day in Januar, six years after I’d started at BioNTech, Uğur read an article in The Lancet about something unfolding on a different continent entirely: a new respiratory virus circulating through Wuhan, China.” (290)


Der erste vergleichsweise harmlose Covidvirus wird in den sechziger Jahren entdeckt, dann folgen 2002 und 2012 gefährlichere Varianten in Asien, die eine Mortalitätsrate von zunächst 10 und dann 35 % haben. Man nennt sie SARS-Co, severe acute respiration syndrome. Der neue SARS-CoV-2 verbreitet sich rasch, manche haben milde Symptome andere sterben daran. Die Menschen sind nicht immun dagegen und bemerken oft auch ihre Infektion nicht, es braucht rasch einen Impfstoff. Die schnellste Entwicklung war die von Mumps, die in den Sechzigern vier Jahre gedauert hat.
„Like every virus, this one hijacked the body’s cells, ingeniously repurposing cellular machinery into a virus factory that made copies of itself.” (291)

Das Management von BioNTech entscheidet, die kompletten Ressourcen der Firma in die Entwicklung des Vakzins zu stecken und alle anderen Forschungen und Entwicklungen einzustellen. Die Firma hat die Verfahren, wie man modifizierte mRNA herstellt, die Entdeckerin selber wie auch eine bestehende Kooperation mit Pfizer, einem Giganten der Pharmabranche. Es dauert offenbar auch nicht lange, bis der Impfstoff gegen SARS-Cov-2 gefunden ist, denn der chinesische Virologe Zhang Yongzhen hatte bereits dessen genetische Sequenz veröffentlicht.
Die Durchführung der drei Phasen der Klinischen Prüfung, die Zulassung, die Produktion und die Logistik stehen unter einem enormen Zeitdruck. Die ersten zwei Phasen der Prüfung laufen parallel und Pfizer beginnt schon währenddessen mit der Produktion von Millionen von Impfdosen. Ein großes Risiko und Unterfangen in mehrerlei Hinsicht, für die Testpersonen, das medizinische Personal, die Impfwillligen und die beiden Firmen.
“It wasn’t just a matter of creating a new vaccine using a new platform; this vaccine required new industrial machinery and equipment, mass freezer farms, new transportation standards, an entirely new global supply chain”(294)

Als die ersten Dosen des Vakzins verschickt wurden, denkt sie: „ Here is my life’s work, moving far beyond me, out into the big wide world”(295)
Zwanzig Jahre nach ihrer ersten Begegnung bekommen Drew und sie die Impfung an der Universität. Jemand ruft:“These are the inventors of the vaccine!”(300)
“Still, the claim wasn’t quite right. We had made our breakthrough, sure, and that breakthrough had found its moment in a pandemic. But so many people deserved cheers.” (300)
“There were too many people to count, too many sacrifices to absorb. As that needle filled with modified mRNA went into my skin, I began to weep. It was all so humbling. Mostly, I was honored to be a part of it (301).” schreibt sie mit einer Bescheidenheit, die ihr auch angesichts des bald folgenden Ruhms erhalten bleibt.

Sie wird zur Person des öffentlichen Interesses, sicher auch aufgrund der Betroffenheit der Menschen, die als Lebewesen alle vom Virus bedroht sind. Die Entdeckung wird durch die Pandemie von der Öffentlichkeit ‚entdeckt‘ und wohl auch von der Wissenschaft, in der sie, wie sie einmal schrieb, lange Zeit unsichtbar (obscure) war. Marie Curie war diese Phase der Bekanntmachung ihrer Entdeckung der Radioaktivität äußerst unangenehm und lästig, es störte sie bei ihren weiteren Entdeckungen und raubte ihr die Ruhe, sie litt daran.
Katalin Karikó schreibt, was Marie Curie vor vielen Jahren ähnlich formuliert hat: “Suddenly I felt as if someone has reached deep into my quiet, obscure life und turned it inside out.”(302) “All this attention. I didn’t need it, I had’nt ask for any of it. I’d decided early in my career not to place any value on recognition, to value only the work itself - do my work well and trust in where it might lead, even if it got there long after my lifetime.”(311) Es geht um die Entdeckung und deren Nutzen für die Menschen, nicht um den Ruhm.
Man kann annehmen, dass ihr diese innere Einstellung geholfen hat, die vielen Widrigkeiten und Niederlagen ihrer Karriere zu überstehen. Außerdem ist es eine von der einzelnen Persönlichkeit unabhängige bei vielen Entdeckern vorzufindende Haltung. Sie hätte sich ja jetzt rächen können an denen, die ihr geschadet haben, aber das tut sie nicht.

Lesen Sie doch die Passage am Anfang dieser Fallstudie mit der Kenntnis der gesamten Karriere nochmal, man versteht sie besser:
"I'm thankful for people who tried to make my life miserable"

Unzählige Zeitungsartikel, Briefe, Einladungen in viele Länder der Welt und Ehrungen - Drew und sie kommen z.B. auf das Titelblatt des Time Magazin als ‚Time Heroes 2021‘- würdigen sie. Jetzt bekommt sie Titel, Ehrendoktorwürden und Mitgliedschaften in wissenschaftlichen Vereinigungen angetragen, die Liste kann man z.B. bei Wikipedia nachlesen. Die vermutlich für sie bedeutungsvollste Ehrung ist die Professur an der Universität Szeged, an der sie begonnen hat und wo sie eigentlich bleiben wollte. Sie trifft dort ihren alten Biologielehrer, der wie ihr Vater auch an sie geglaubt hat. Welche Art von Professur sie an der Pennsylvania Universität nun innehat, ist nicht genau zu ermitteln.

Ihre Tochter Susan, die mittlerweile selbst Mutter geworden ist, begleitet sie bei diesen Erfolgen genau so wie sie damals ihre Tochter bei ihren sportlichen Erfolgen begleitet hat und unterstützt sie. Ihr Mann Bela unterstützt, tritt bereitwillig zurück und es scheint so, dass er in der Lage ist, ihre Erfolge mit ihr zu feiern und zwar neidlos, was für ein Glück für sie. Die Rollen sind gemessen an traditionellen Vorstellungen von Familie und Karriere in diesem Fall vertauscht!

Aber auch Kritik an diesem neuen Impfstoff wird laut, man hat ihn nicht 10 Jahre testen können, lediglich die unmittelbare Wirkung, nicht aber die Langzeitfolgen untersuchen können. Man vermutet gesundheitliche Folgen und schwerwiegenden Nebenwirkungen. Wir waren und sind alle Zeitzeugen dieser noch andauernden Debatte und hoffentlich auch Erforschung dieser neuen für Nicht-Biologen und Mediziner wirklich nicht einfach zu verstehenden Entdeckung.

Entdeckung und Erfolg durch das Überschreiten der Grenzen von Disziplinen und Abteilungen

Das achte Merkmal von Entdeckerkarrieren: Die Grenzen von Fächern/ Disziplinen/ Professionen werden nicht akzeptiert, sondern überschritten, die Erkenntnisse der einen mit denen der anderen verbunden, zu etwas Neuem synthetisiert, in das eigene Modell eingeordnet und immer weiter optimiert. Entdecker suchen Ihre Anregungen in Konzeptionen, Theorien, Praktiken anderer Fächer, Disziplinen, Professionen und bei deren Vertretern. Sie arbeiten interdisziplinär und transdisziplinär.

Departmental boundaries seemed so arbitrary to me. From a management perspective, maybe they made sense, but from a scientific one? No. Everything interacts, subjects bleed into one another. In medicine, that’s especially true. A heart attack can cause a stroke (this is, in fact, what happened to David’s father), yet heart failure is treated by cardiologists like Elliot, and strokes by neurosurgeons like David. Inflammation is a subject for immunologists like Drew, yet chronic inflammation causes issues for the heart and brain, and in fact problems of the heart and brain cause inflammation throughout the body.
The body, like the world, is a system; it isn’t divided into tidy categories between which sharp boundaries can be drawn.
I was a basic researcher. The whole point of basic research was to go wherever it took you. I was going where my research took me. I was too busy to worry about what department I worked in.” (245)

Die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus anderen Disziplinen durchzieht Katalin Karikós Karriere wie ein roter Faden. Sie arbeitet meist in medizinischen Fakultäten und dort auch in unterschiedlichen Abteilungen.


Biologie und ihr Fachgebiet Biochemie studiert sie an der Universität Szeged, die Promotion und ihre erste Postdocstelle hat sie am biologischen Forschungszentrum der ungarischen Akademie der Wissenschaften, wo sie auch mit Chemikern arbeitet, und ihre erste Stelle in Amerika im Labor des Department of Biochemistry an der Temple Universität. Danach arbeitet sie nur noch in medizinischen Fakultäten, zunächst im Department of Pathology in Bethesda, dann im Department of Medicine der University of Pennsylvania zunächst in der Kardiologie, dann in der Neurochirurgie und schließlich in der Immunologie. Bei Biontech, der von Medizinern, die in der Krebsforschung arbeiten, gegründeten Firma, leitet sie zusammen mit einem Mediziner die Firma und ein eigenes interdisziplinär zusammengesetztes Team.

Diese oft nicht ganz freiwilligen Wechsel auf andere Jobs nutzt sie, ihr Wissen als Biochemikerin um das aus verschiedenen medizinischen Fachgebieten zu erweitern und von ihren Kooperationspartnern zu lernen. Immer dient die Zusammenarbeit über disziplinäre und organisationale Grenzen hinweg der Grundlagenforschung in der eigenen Disziplin wie auch der Anwendung der Forschungsergebnisse in der Medizin. Sie verfolgt dabei immer das Ziel ihrer Entdeckungspraxis, mRNA für die medizinische Anwendung zu entwickeln.
Zusammen mit einem Immunologen macht sie schließlich die Entdeckung und beide erhalten dafür den Nobelpreis, eine Bestätigung für ihren Satz: „Departmental boundaries seemed so arbitrary to me.“und „I was going where my research took me.“

Der Nobelpreis in Medizin für "Physiology or Medicine" 2023

Die Anerkennung für ihre Forschungspraxis und die Entdeckung brachten ihr und Drew Weissmann 2023 den Nobelpreis für Medizin ein. Sie nimmt ihn als Professorin der Universitäten von Pennsylvania und Szeged entgegen!

Ihrer interdisziplinären Arbeit trägt der Titel des Nobelpreises für "Physiologie oder Medizin" Rechnung, offenbar hat man sich auch hier bei der Verleihung des Preises schwer damit getan, sie einer Disziplin zuzuordnen. Wobei Physiologie, die Lehre von den Prozessen in Zellen, Geweben und Organen aller Lebewesen ist, die auf die Biologie, insbesondere die Biochemie, die Chemie und Physik zurückgreifen muss, auch schon interdisziplinär angelegt ist. Es gibt eine Facharztausbildung in Physiologie und insofern ist die Physiologie Teil der Medizin, die aber wie Experten sagen, in hohem Maße auf die Biochemie, wofür sie Expertin ist, angewiesen ist.

In ihrem Vortrag anlässlich der Verleihung des Preises, in dem sie die Entwicklung ihrer Forschung nachzeichnet, erfährt man, dass es derzeit 250 Studien zu mRNA weltweit gibt und “the fastest growing section of medicine in these days is protean based“. Natürlich forscht sie selbst immer weiter, jetzt nicht mehr an Impfstoffen, sondern an der Entwicklung von Medikamenten gegen Krebs.

Die Begründung des Nobelpreiskomitees für den Preis und eine kurze Darstellung ihrer Entdeckung, weitere Videos und Informationen unter diesem Link
Nobelpreis Kariko Weissmann Übersicht

Nobelpreisträger halten vor der Verleihung des Preises einen fachlichen Vortrag zu ihrem Thema.
Hier der Link zu Ihrer „Nobelprize Lecture“ am 7. Dezember 2023 am Karolinska Institute in Stockholm. Ihr recht anspruchsvoller Vortrag beginnt nach einer -leider schlecht verständlichen- Würdigung durch den Präsidenten des Instituts in der 10. Minute des you tube Videos
Nobelpreis Lecture Kariko

Die Quellen: Verwendete Interviews und Artikel und Monographien

Foto von Katalin Karikò Quelle:www.commons.wikimedia.org

Autobiographie
1.Katalin Karikó 2023: Breaking Through- My life in Science. New York, Crown
Hier die Ankündigung der Autobiographie

2.Katalin Karikó – ehemalige hervorragende Studentin, Ehrendoktor, Forschungsprofessorin der Universität Szeged, Preisträger Nobelpreis für Physiologie oder Medizin 2023 · Katalin Karikó · SZTE Klebelsberg Könyvtár Képtár és Médiatéka
Der Link: Katalin Karikó – Virtuelle Ausstellung – Universität Szeged
Detaillierte Darstellung ihrer fachlichen und organisationalen Karriere in Ungarn

3.Die Besessene: Die Nobelpreisträgerin Katalin Karikó verfolgte immer ihr Ziel, obwohl sie stets belächelt wurde
Nach vierzig Jahren Grundlagenforschung wurde sie über Nacht zum Star. Jetzt erhält die Ungarin die prestigeträchtigste Auszeichnung der Wissenschaft.
Gioia da Silva, Judith Blage 02.10.2023, 16.38 Uhr
Neue Zürcher Zeitung
Hier der Link: Die Besessene

tar_082, id233, letzte Änderung: 2024-03-05 15:36:22

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