Die Entdeckerkarriere - Das Modell und die Merkmale



Gliederung

Es kann kein allgemeingültiges Modell von Karriere geben, das für alle Gruppen berufstätiger Menschen Geltung hat. Ein Anlass, mich mit den Karrieren von Entdeckern zu beschäftigen war, dass die bislang vorhandenen Modelle den Karriereweg dieser Gruppe von Menschen nicht erfassen können. Die drei vorhanden Triadischen Modelle, die sich in der Praxis bewährt haben, erklären Karrieren aus dem Miteinander- Gegeneinander- und Nebeneinander von drei Dimensionen.

Das erste dieser drei Karrieretriaden ist: Die Karriere von Berufstätigen, die in Organisationen arbeiten und angestellt sind. Diese Triade hat die drei Faktoren Lebensweg, Laufbahn, fachlicher oder professioneller Werdegang.

Karrieretriade

Die zwei parallel von mir entwickelten Karrieretriaden für die Gruppe der Unternehmerinnen und der Selbstständigen weisen andere Faktoren auf.
Die Karriere von Unternehmerinnen ist das Produkt des Zusammen-, Gegeneinander- und Nebeneinanderwirkens der Entwicklung der Unternehmerpersönlichkeit, der Entwicklung des Unternehmens und der Entwicklung des Produkts oder der Dienstleistung.

Karrieretriade

Die Karriere von Selbstständigen ist das Produkt des Zusammen-, Gegeneinander- und Nebeneinanderwirkens der Entwicklung der Persönlichkeit des Selbstständigen, der Entwicklung der Dienstleistung bzw. des Angebots und der Entwicklung der Organisationsformen selbstständiger Tätigkeit.

Karrieretriade

Mehr zu den drei Karrieretriaden finden Sie auf der Website "Wandeltriade" in Wandel von Personen

Keine dieser drei Triaden ist geeignet, die Spezifik der Karrieren von Entdeckern zu erfassen, genau so wenig wie die von Künstlerkarrieren. Nimmt man die Faktoren der ersten Karrieretriade, Laufbahn professioneller Werdegang und Lebensweg, so findet man die die folgenden Abweichungen in den Karrieren von Entdeckern.

Es gibt keine Laufbahn, keine Karrierepfade für Entdecker in bestehenden Organisationen

Und es gibt keine "Entdeckerorganisationen" mit Karrierepfaden und Laufbahnen. Sie schaffen sich ihre eigenen Organisationen und Praxissysteme, ihre Position darin und ihren Weg von einem zum anderen, man könnte auch sagen, sie schaffen sich ihre eigene Laufbahn.
Deshalb gibt es auch keine sozial festgelegten Kriterien für die Bewertung einer Entdeckerkarriere wie beispielsweise für die Karrieren von Menschen in Organisationen. Hat die Person zum Zeitpunkt X die Position eines Sachbearbeiters inne, zum Zeitpunkt Y die Position Teamleitung oder Abteilungsleitung, so hat sie, legt man dem Bewertungsmaßstab des Aufstiegs in der von den Organisationen vorgegebenen Laufbahn, dem Karrierepfad, an, Karriere gemacht.

Es gibt keinen vorgegebenen professionellen Werdegang für Entdecker

Es gibt keine Institutionen, die Entdecker ausbilden. Sie schaffen sich einen eigenen fachlichen Werdegang. Sie entwickeln ihr eigenes Ausbildungscurriculum und ihre eigene Arbeitsmethodik. Sie sind nicht auf eine Disziplin oder eine Profession festgelegt, sie schaffen Querverbindungen zwischen wissenschaftlichen Disziplinen, zwischen verschiedenen Formen der professionellen Praxis.
Einen erfolgreichen professionellen Werdegangs in einem etablierten Beruf schafft derjenige, der die Stationen Lehrling, Geselle, Meister oder gar Ausbilder von Meistern erfolgreich passiert hat; oder in einer akademischen Ausbildung den Bachelor für ein Fachgebiet, den Master, vielleicht noch die Promotion oder gar die Habilitation erfolgreich abschließt.

Es gibt keine Normalbiographien von Entdeckern

Die Entdeckung bestimmt das, was man als Privatleben bezeichnen würden. Die Person, die Persönlichkeit wird auf die Entdeckung hin ausgerichtet, man könnte in manchen Fällen auch sagen zugerichtet, das gesamte Leben wird dem Primat des Entdeckens untergeordnet. Glück, Gesundheit, Zugehörigkeit zählt für sie nicht oder kaum, Ehen und andere feste Bindungen glücken eher selten.

Die beiden Triaden der Karriere von Unternehmern und von Selbstständigen scheinen auf den ersten Blick eine größere Übereinstimmung mit der Karriere von Entdeckern aufzuweisen, aber auch davon weichen die Entdeckerkarrieren ab.

Entdeckern geht es nicht darum, eine Dienstleistung zu produzieren, die Abnehmer findet, oder ein Produkt zu schaffen, mit dem sich Gewinne erwirtschaften lassen.

Auch geht es ihnen nicht darum, ein Unternehmen oder eine Praxis aufzubauen, die sich erfolgreich am Markt behaupten kann. Ein Unternehmen zu gründen ist für sie nur ein Mittel zum Zweck, nämlich dem Zweck, an der Entdeckung arbeiten oder sie verbreiten zu können. Der Aufbau von organisationalen Strukturen hat nur dienenden Charakter für ihre individuelle Praxis des Entdeckens und sie scheuen sich, ihre Energie in deren Aufbau und Erhalt zu stecken, wenn es auf Kosten des Entdeckens geht. Ebenso wenig geht es ihnen darum, Erfindungen oder Entdeckungen auf den Markt zu bringen, um damit Geld zu verdienen, höchstes um damit die weitere Entdeckungspraxis und ihr Auskommen zu finanzieren.

Kann man ein wissenschaftliches Modell entwickeln, wenn die untersuchte Personengruppe, die Entdecker, keine Normalbiographien aufweisen, keine Laufbahnen, keine Ausbildungswege, weil sie Wandel durch disruptive Prozesse, also vernichten, erfinden und ersetzen prämieren und dadurch als Abweichung von anderen untersuchten Gruppen erscheinen?
Entdecken ist kein Beruf, sondern ihre Art zu leben

Im Vergleich zur Gruppe der in Organisationen arbeitenden Menschen, zu Selbstständigen und zu Unternehmern ist das Entdecken für sie ein existenzielles Bedürfnis, eine Lebensnotwendigkeit. Darin sind sie der Gruppe der freien Künstler, deren Karrieren ich ebenfalls untersucht habe, ähnlicher als den drei oben genannten.
Ihre Arbeit ist aufs engste mit ihrer Persönlichkeit verknüpft, man kann sie nicht als sozialen Typus, sondern nur als Personen modellieren, was ein Problem für meine Forschung ist.
In der Beratung von Entdeckern ist dies kein Problem, denn dort emergieren sie als Individuen, als Persönlichkeiten in ihrer Einzigartigkeit.

An diesem Punkt entziehen sie sich meinem üblichen wissenschaftlichen Vorgehen, ich kann kein Triadisches Modell der Entdeckerkarriere bauen wie in den anderen drei Forschungsprojekten.

In der Sprache der Supervisoren sagt man, es spiegelt sich im Hier und Jetzt – meiner Forschungspraxis – der Unwille von guten Entdeckern, sich in Strukturen, die sie nicht selbst geschaffen haben, einzupassen oder sich einer sozialen Gruppe zuzuordnen, sich als sozialer Typus aufzufassen.

Zum Spiegelungsphänomen
Mit diesem – im Übrigen überall entstehenden, meist aber nicht bemerkten – Spiegelungsphänomenen kann man so umgehen, dass man sie erstens erkennt, zweitens benennt und drittens für die Lösung anstehender Probleme nutzt. In der von Michel Giesecke und mir entwickelten "Kommunikativen Sozialforschung" nutzen wir diese auch in der Forschungspraxis emergierenden Phänomene systematisch. "Selbstwahrnehmung und –beschreibung des Forschungssystems" ist die vierte Phase des idealen Forschungsablaufs. Wir haben damals, wie Entdecker das tun, jenseits des eigenen Bereichs in der Supervision, die wir untersuchten und die ich gerade parallel zu meiner Tätigkeit im Forschungsprojekt erlernte, nach einer Lösung für dieses Problem gesucht.
Zur Kontrolle der eigenen Interpretationen und zur Verbreiterung der Datenbasis haben wir eine weitere Phase in den Forschungsprozess eingefügt, die "Datenrückkopplung an das untersuchte System (Hypothesentest, Triangulation)",die fünfte Phase des idealen Forschungsablauf.

Wenn Sie mehr zu Spiegelungsphänomenen in der Forschung und Beratung lesen wollen:


Artikel und Links zu ihrer Bedeutung in der Wissenschaft:
Was kann man aus dem gegenwärtigen Entwicklungsstand der Beratung für die Gestaltung kommunikativer Sozialforschung lernen? Gemeinsam mit Michael Giesecke:
Journal für Psychologie, Heft 3, 1998, S. 59-72
Was kann man aus der Beratung für die Forschung lernen

Zur Integration von Selbsterfahrung und distanzierter Betrachtung in der Wissenschaft
Gemeinsam mit Michael Giesecke
In: Wie kommt die Wissenschaft zu Wissen? Band 1: Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten. Hrsg.: Theo Hug. Innsbruck. Buch, CD-Rom und Internetversion 2001
Selbsterfahrung und distanzierte Betrachtung in der Wissenschaft

Hier der Hinweis auf unser Buch zur Kommunikativen Sozialforschung 1997
Kommunikative Sozialforschung KRG
Kommunikative Sozialforschung MG

Kurze Einführung in die Bedeutung von Spiegelungsphänomene in der Supervisions- und Beratungspraxis
Spiegelungsphänomene

Wenn ein Fehler im Vorgehen auftritt, so ist die Maxime, die Root-Bernstein bei der Untersuchung von Entdeckerkarrieren herausgearbeitet hat, genau an dieser Stelle weiterzumachen, aber mit anderen Methoden und Annahmen. Seine Studie wird hier im Menüpunkt " Programme und Phasen des Entdeckens " vorgestellt.

Entdeckerkarrieren weichen von den anderen drei Karrieretypen dadurch ab, dass sie in extremem Maße von der Persönlichkeit des Entdeckers abhängig sind

Entdecker müssen all das selber schaffen, was anderen durch die Nutzung vorhandener und vorgegebener professioneller Werdegänge und Laufbahnen und auch vorherrschenden persönlichen Lebensentwürfen abgenommen wird. Nimmt man die Triade des Berufstätigen mit den drei Faktoren Person Profession und Funktion, so kann man sagen, dass eine extreme Prämierung der Person festzustellen ist. Dem entspricht die Prämierung individueller gegenüber sozialer und kultureller Praxis.

Das Individuum wird prämiert, auf ihm lastet neben der Arbeit an der Entdeckung sehr viel mehr, verglichen mit den Karrieren von Angestellten, Selbstständigen und Unternehmern

Entdecker müssen in starkem Maße auf sich vertrauen und immer wieder prüfen, ob Ihre persönlichen Ressourcen ausreichen, um ihren eigenen fachlichen Werdegang zu schaffen, Positionen innerhalb oder außerhalb von Institutionen und Organisationen zu finden oder selbst zu schaffen, die ihnen das Entdecken ermöglichen und drittens sich persönliche Lebensbedingungen zu schaffen, die es möglich machen, ihre Mission und Lebensaufgabe zu erfüllen. Um Erfolg zu haben, brauchen Sie ein hohes Maß an Selbstreflexion, um ihre Karriere zu steuern oder sich zu entscheiden, sie gegebenenfalls auch zu beenden.

Die radikale Abkehr der Entdecker von traditionellen Pfaden spiegelt sich in meinem weiteren Vorgehen. Die Entwicklung der Entdeckerpersönlichkeit und ihrer Biographie kann man untersuchen, aber es gibt kein Triadisches Modell der Entdeckerkarriere, jedenfalls zu diesem Zeitpunkt der Analyse nicht.

Was meint Entwicklung?
Etwas als Entwicklung zu bezeichnen, setzt einen Bewertungsmaßstab voraus. Biografien und Lebensläufe lassen sich als Chronologie, das heißt Abfolge von Ereignissen in der Zeit beschreiben. Veränderungen diagnostiziert man, wenn man einen Faktor aussucht, zwei Zeitpunkte auf der Timeline der Chronologie aussucht und Unterschiede in der Ausprägung dieses Faktors feststellt, z.B. eine Veränderung von Gesundheit (von mehr zu weniger oder umgekehrt), eine Veränderung von mehr zu weniger Ideen oder Erkenntnissen etc. Bewertet man diese Veränderung mithilfe eines Maßstabes, dann kann man positive oder negative Entwicklungen feststellen. Da verschiedene Menschen unterschiedlicher Bewertungsmaßstäbe haben, fällt die Bewertung, ob eine Veränderung eine Entwicklung darstellt, unterschiedlich aus. So können die Einschätzungen des Entdeckers selbst und die anderer relevanter Personen von Veränderungen in seiner Biographie weit auseinander liegen.

Mehr zu unserem Modell von Lebensgeschichte als Ereignis-, Erlebnis- und Veränderungsgeschichte auf meiner Webseite
Wandeltriade

Das Kriterium und der Bewertungsmaßstab von Ereignissen ihrer Karriere sind für Entdecker: Dient diese Veränderung der Entdeckung?

Bringt mich diese Veränderung dem Ziel meiner Entdeckung Praxis näher? Ein Entdecker übernimmt keine Bewertungsmaßstäbe von Organisationen oder Professionen und auch nicht von ihm nahestehenden Menschen.

So war für Reinhold Messners Mount Everest Expedition der Bewertungsmaßstab: Schaffe ich es, den einzig möglichen Weg auf die Spitze des Mount Everest zu finden, für Kolumbus den Seeweg nach Indien zu entdecken, für Stefan Hell die Beugungsgrenze zu knacken, für Böttcher Gold zu machen und für Guttenberg die schönste und immer gleichbleibende Schrift zu entwickeln.

Was tritt an die Stelle des Modells der Entdeckerkarriere?
Aus der Analyse von Autobiografien, Biographien und Interviews entstandene Forschungsergebnisse:
Die Merkmale von Entdeckerkarrieren im nächsten Abschnitt
Und im Menüpunkt Erfolg und Scheitern:
Der Sinn der Entdeckung für den Entdecker
Sinn der Entdeckung
Die Kriterien für den Erfolg, die die Entdecker selbst haben
Kriterien für den Erfolg
Die Maximen für die Steuerung ihrer Karriere, die für die Entdecker handlungsleitend sind, ihnen aber nicht immer bewusst sind.
Maximen

tar_06, id121, letzte Änderung: 2023-05-26 17:48:10

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